Am Niederrhein

Foto: Pieter Delicaat – Wikipedia

An der Niers am frühen Morgen,
schwebt ein Nebel, sanft bewegt,
und der Mond hält das Gebilde
fest am Boden, bis er geht.

An den Ufern strecken Bäume,
das Geäst zum Himmelszelt,
spinnen veilchenblaue Träume;
Schlaf entweicht der Vogelwelt.

Der Jasmin beginnt zu blühen,
glänzt im feuchten Morgentau.
Duft’ges Weiß liegt auf dem Grünen,
kontrastiert zum Himmelblau.

Weiden mit bizarren Ästen
winken heimatlich gesinnt,
bieten farbenfrohen Gästen,
Lebensraum und Neubeginn.

Nimmermüde Dotterblumen,
träumen schwefelgelben Traum,
lauschen selig den Gesängen,
aus dem hohen Lindenbaum.

Foto: Gisela Seidel

Grün erneuert sich das Leben,
Farbenrausch am Niederrhein,
Butterblumen an den Wegen,
Jedermann will draußen sein.

Senfsaat hat in manche Ecke
gelbe Blüten ausgestreut,
überdeckt die Erdendecke.
Seht nur, wie ihr Anblick freut!

Dunkles Erdreich atmet Schwere,
Schollen sind zur Saat bereit,
damit im Frühjahr wiederkehre,
was im Herbst zur Ernte reift.

Musikunterricht

Georgios Iakovidis (1853-1932)

Jungs aus meiner Klasse
haben ihn nicht ernst genommen – Mädchen schon;
trafen doch die meisten Flegel absichtlich den falschen Ton,

und der gute, alte Lehrer schien entgeistert von dem Sang,
nur wir Mädchen sangen leidlich, mit Klavier-Blockflötenklang.

Und ich pfiff in allen Tönen, selbst erlernt, mit Klammergriff.
Eltern mussten sich gewöhnen, manchmal ‚pfiff‘ mein Vater mit.

Simon Glücklich (1863-1943)

Festlich war die Weihnachtsfeier, laut war unser Flötenchor,
und der gute, alte Lehrer stand mit Taktstock stolz davor.

An mein graues Liederbuch denke ich so manche Stunde,
seh‘, wie die Kultur vergeht, mit ihr auch die alte Kunde.

Wenn die vielen Worte sterben, die einst unser Volk geprägt,
dann verblasst der Ahnen Erbe, das sie uns ans Herz gelegt,

denn die Verse dieser Lieder spiegeln einfühlsam die Zeit,
öffnen das Erinnern wieder, was in Herz und Köpfen bleibt.

Der Geist dieses Ortes

Genius loci in Weimar

aus Werthers Leiden von Johann Wolfgang von Goethe,
Zeichnung von Friedrich Bold

Es gibt einen Ort dessen Schwingung
erstrahlt mir so rein wie Kristall.
In seinen Facetten, da spiegelt
sich dein Geist noch ein letztes Mal.

Spür’ noch deinen Arm, deine Blicke,
die heller erstrahlten als Licht.
Warst mir der Schönste zum Glücke,
erhaben, dein Geist, dein Gesicht.

Als leise im Frühlingserwachen
dein Mund mich zärtlich berührt,
da hab ich auf heißen Wangen
den Hauch deiner Liebe gespürt.

In unseren Herzen lag Frieden,
Glückseligkeit gab uns Geleit,
doch blühten die Herbstzeitlosen
uns lange schon vor der Zeit.

Das Schicksal, es streute uns Rosen,
doch der Geist unsrer Liebe trieb fort.
Vorbei ist das Streicheln und Kosen,
die Blüten, zertreten, verdorrt.

Das Leben hat alles genommen;
dein Geist ist so fern mir, so weit.
Nun ist der Winter gekommen –
du hast dich von mir befreit!

Lebenskünstler

Bild von pasja1000 auf Pixabay

Wie eine Farbpalette breitet es sich aus,
das Leben, mit den schönsten Farben,
ob wir sie richtig mischten, stellt sich erst heraus,
wenn wir das fert’ge Bild vor Augen haben.

Oft ist der Hintergrund zu dunkel oder hell;
den passenden Kontrast gilt es zu finden,
und machen wir so manchen Pinselstrich zu schnell,
sind große Korrekturen einzubinden.

Es schmücken dort Personen unser Bild,
die ganz und gar nicht auf die Leinwand passen,
wo Pinselstriche dunkel oder doch zu mild,
nur negative Spuren hinterlassen.

Wenn wir die Harmonie der Farben weise wählen,
genießen wir im Licht die bunten Tage,
wir werden zu den Lebenskünstlern zählen
und dankbar sein, für jede Farbengabe.

Goethes Farbenkreis zur Farbenlehre,
Temperamentenrose, von Schiller beschriftet

Sonnenmeer

Bild von pasja1000 auf Pixabay

Im Flügelschlag der Nacht
sind dunkle Sorgen
vom Licht befreit,
und golden zeigt der Morgen
sein neues Kleid.

Die Schatten sind verflogen
wohl übers Weltenreich,
da singen die Vögel
und jauchzen,
jenseitsgleich.

Es schwirren frohe Gedanken,
wie Schwalben im Sonnenmeer,
ziehn weite Kreise des Grußes
dem Höchsten entgegen,
des Dankes schwer.

Sonnenfeuer

Sir John Everett Millais (1829-1896)

Die Frühlingsluft tanzt durch die Gärten,
vermählt sich fröhlich mit dem Wind,

umhüllt mit einem weichen Wehen,
den Weltschmerz, wie ein kleines Kind.

Die Sonne zaubert hehres Leuchten
voll Freude in des Tages Zeiten,

und Himmelsfrieden lässt den Lärm
des Alltags in die Dünste gleiten.

Ihr Heerschar himmlischer Gewalten,
die ihr dem Schöpfer dienend schafft,

entzündet in den Menschenherzen,
des Abends eure Sonnenkraft!

Und jedes Herz, vom Glanz erhellt,
getröstet, wird sein Leid verstehen,

drum muss es abends stille sein,
dann kann der Schmerz der Welt vergehen.

Phönix aus der Asche

Hört ihr des Donnervogels Schwingen,
wie er sich abends machtvoll hebt?
Hört ihr des Luftstroms weiches Singen,
wenn er in luft‘gen Höhen schwebt?

Mit Myrrhe ist sein Horst bedeckt,
er trug die Bitterkeit der Welt,
im Gold-Gefieder wohl versteckt,
hoch in sein Nest am Himmelszelt.

Wie prächtig war das Federkleid
der menschengroßen Kreatur!
Er trug das Bild „Vergänglichkeit“,
als Zeichen seiner dunklen Spur.

Den Menschen muss er Buße bringen,
als Totengott im Abendlicht,
und in der Göttersage Stimmen,
mahnt er zur Vorsicht und Verzicht.

Wenn erstes Sonnenglüh‘n mit Macht
am Morgen aus dem Meere steigt,
verbrennt er in der Flammen Kraft,
im Strahlenglanz der Ewigkeit.

Doch irgendwann nach hundert Jahren
wird er aus Asche auferstehen,
verjüngt, Unsterblichkeit erfahren,
nach langem Tod den Himmel sehn.

Phönix entsteigt der Asche – Bestiarium von Aberdeen

Ein schöner Tag

Fototapete

Strahlend blauer Himmel, wie ein Meer,
so unergründbar tief und grenzenlos.
Ein Nebelhauch am Horizont, nicht mehr,
das Leuchten wolkenlos, so klar und groß.

Als wenn der Frühling immer ist und hell,
die Blütenpracht, der Vogel auf dem Dach –
er singt so voller Leidenschaft. Ein Quell,
wohl inspiriert von Lust und Lebenskraft.

Die Energien schwirren durch den Raum,
und treiben Müdigkeit ins Morgenlicht,
dort schwinden Traurigkeit und Traum,
wenn warmes Strahlen durch die Scheiben bricht.

Das sind die Nächte

Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen,
wo sich der Mond an meine Seite schmiegt
und kranke Schatten führt an meinen Wegen,
entschleiernd, was am Grund des Grauens liegt.

Oh, hassenswert sind diese hellen Nächte.
Ich will im Dunkeln meine Straße gehn.
Ich dulde nicht, dass unbekannte Mächte
mit scheelem Blick in meine Seele sehn.

Verhasster Mond, der feil und unverschwiegen
mir in mein innerstes Geheimnis bricht!
Ich wollt, ich dürft erst tot im Grabe liegen,
gefeit vor Furcht und unerbetnem Licht.

Erich Mühsam 1878-1934,
ermordet im KZ Oranienburg