Weltwirtschaftskrisen vor ca. 100 Jahren

Gekürzter Auszug aus meinem biografischen Roman über Henriette Brey (1875-1953)

1934

Heinrich sprach ein Tischgebet, so wie es früher Vater tat, und nachdem wir es mit einem „Amen“ beendet hatten, begann mein Bruder Josef zu erzählen: „Es ist bald so, wie vor zehn Jahren. Zu kaufen bekommt man fast überhaupt nichts mehr oder es ist so teuer, dass es niemand bezahlen kann. Das Geld ist nichts mehr wert und Arbeit gibt es auch kaum noch. Überall sagt man, mit Hitler würde bestimmt alles besser.“

Schon der Name bereitete mir Unbehagen. Diese Regierung hatte mir all meine Sicherheiten genommen. Bisher hatte ich meinen Lebensunterhalt durch meine schriftstellerischen Arbeiten bestreiten können. Ich fürchtete mich vor der Zukunft. Hitler ließ Bücher verbrennen, doch was kam als Nächstes?

Trotz alledem konnte ich meinen Bruder verstehen. Vor ein paar Jahren hatte er, wie alle anderen, noch stundenlang mit einer Brotkarte anstehen müssen, und wenn Maria es mal auf „Umwegen“ zu einem bisschen Gries oder Graupen und etwas Öl gebracht hatte, war die Freude groß und ein frisch ‚erbeutetes‘ Seifenstück war purer Luxus und kam direkt hinter dem Traum von Bohnenkaffee. Es war die Zeit, in der Tee noch selbst gesammelt wurde, um einen aufrührerischen Magen mit Brombeerblättertee zu beruhigen. Geraucht wurden Huflattichblätter und Buchenlaub, anstelle von Tabak. Wenn der Hunger allzu sehr drückte, band sich Josef einen Rucksack auf den Rücken und versuchte bei den umliegenden Bauern etwas Essbares einzuhamstern, was sich diese dann aber teuer bezahlen ließen.

Das war die bitterböse, schlimme Wirklichkeit, die alle erlebt hatten, und in der die schlanke Linie ganz von alleine kam. Das einzige Fett waren sechzig Gramm verwässerte Butter – die Ration für eine ganze Woche. Mutters Schweinebraten wurde zum unerreichbaren Ideal, dem man mit trüben Gedanken und ehrfürchtigem Schauer seufzend hinterher trauerte. Zigarren kosteten mit einem Mal Milliarden und man begann getrocknetes Kartoffelkraut in Tabak umzufunktionieren.

Wenn Maria mit viel Einfallsreichtum ein bisschen Zucker für den Kornkaffee auftreiben konnte, war Feiertag. Des Abends ging man früh ins Bett, um Brennholz zu sparen und konnte oft genug wegen des knurrenden Magens keinen Schlaf finden. War man endlich eingeschlafen, träumte man von einem herrlich gedeckten Kaffeetisch mit köstlichem Weizenbrot, goldgelber Butter, rosigem Schinken und Wurst, frisch aus dem Rauch. Ein Puderzucker überzogener Gugelhupf lockte zusammen mit echtem, duftenden Bohnenkaffee.

Schon wälzte man sich unruhig im Schlaf hin und her und erwachte mit einem leeren Gefühl in der Magengegend und mit vor Kälte zitternden Gliedern. Die Hosen schlotterten um die dürr gewordenen Beine. Vorbei der Traum von weißen, runden Würsten, dickem Schwartemagen, goldgelben Eidottern und Speck. Fort waren der prächtige Käselaib und das Paket mit wohlriechendem Tabak. Wie eine Fata Morgana zerrannen die geträumten Genüsse und zerplatzten in der Realität, wie bunte Seifenblasen.

Nun blickten wir stumm auf einen liebevoll gedeckten Tisch mit Schwarzbrot, Rosinenweißbrot und Rübenkraut. Maria hatte ein Stück Butter aufgetrieben und Heinrich war es gelungen, geräucherten Speck und ein wenig Kochwurst von einem benachbarten Bauern zu besorgen. Heute war Feiertag – extra für mich! Während meiner langen Krankenhauszeit hatte ich mich nicht um den alltäglichen Existenzkampf kümmern müssen, denn das Hospital, das von der Caritas geleitet wurde, erhielt genügend Lebensmittelrationen aus der umliegenden Landwirtschaft.

Anderen ging es nicht so gut. Die Zeitungen waren übervoll mit Firmenzusammenbrüchen und berichteten über die Massenarbeitslosigkeit. Sogar Banken wurden geschlossen. Die Welt stand wirtschaftlich am Abgrund. Bei sechs Millionen Arbeitslosen nahmen Kriminalität und Armut sprunghaft zu.

Die Bevölkerung hungerte, war verzweifelt und suchte nach Auswegen. Die schmalen Gesichter waren von Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Ältere Menschen bekamen keine Arbeit mehr, und die jüngere Generation musste jede Arbeit annehmen, die sich ihr bot, um dem Hunger und der Obdachlosigkeit zu entgehen.

Oftmals war ein Freitod einziger Ausweg aus der existenziellen Not. Zum Überlebenskampf gehörten Heimarbeit, Hausieren und Tauschgeschäfte. In den Großstädten häuften sich die Unruhen und oft galt die Prostitution für viele Frauen, als letzter Ausweg um zu Überleben.

Hier auf dem Lande hatte jeder wenigstens ein kleines Stückchen Erde, das er bewirtschaften konnte. So schien das Überleben ein wenig leichter zu sein, weil man Gemüse und Kartoffeln selbst anbauen konnte. Obst war ebenfalls durch eigenen Anbau vorhanden, und Fleisch bekam Josef ab und zu durch Malerarbeiten von den Bauern im Umkreis. Doch auch hier wuchs die Armut, und die Tagelöhner, die vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, arbeiteten gewöhnlich zehn bis zwölf Stunden am Tag für einen Hungerlohn.

Zwischen den weiten Feldern des flachen Niederrheins hindurch, ziehen sich die alten römischen Heerstraßen, über die vor langer Zeit bereits die Legionen Cäsars stampften.

Manche der schnurgeraden Landstraßen sind jedoch erst unter Napoleons Herrschaft entstanden. Als darauf französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 in das Ruhrgebiet einmarschierten, leistete die Bevölkerung erbittert Widerstand gegen das teilweise brutale Vorgehen des Militärs. Unaufhaltsam setzten die fremden Mächte ihren Marsch mit schweren Schritten immer weiter auf deutscher Erde fort und besetzten den Niederrhein, um die Reparationsleistungen für den ersten Weltkrieg einzufordern. So wurde die deutsche Wirtschaft schließlich durch die Absperrung des Ruhrgebietes und wegen anhaltender Streiks und Produktionsausfälle ruiniert.

Die Bevölkerung zahlte ihren bitteren Zoll und musste die Gürtel noch enger schnallen. Nun hungerte auch die Landbevölkerung, denn sie hatte den Großteil ihrer erwirtschafteten Güter an die Besatzer abzugeben.

Wo man sich sonst mittags gegen vier Uhr mit allen Hausgenossen bei Tisch zusammenfand, um reichlich Kaffee mit Butterbrot zu sich zu nehmen, stand man vor leeren Vorratskammern. Es gab an Stelle von Brot nur Mehlsuppe und ab und zu schlecht schmeckenden Kaffee-Ersatz.

Als bitterer Nachgeschmack verblieb ein gesteigerter Franzosenhass in den Köpfen der Einheimischen, und eine allgemeine Fremdenfeindlichkeit brannte sich tief in die leidgeprüften Gemüter ein, die Hunger und Not nicht vergessen konnten. So folgte man willig den neuen Parolen, die bessere Zeiten und Arbeit versprachen, und die Mühlen des Hasses drehten sich schneller und schneller.

Kinder des Lichts

Wie ein See, mit tausend Glitzerwellen,
spiegeln sich die Himmel, sternenfunkelnd,
wo des Lichtes unbekannte Quellen,
strömen zu den Taten, die verdunkelnd,
in den leidgeprüften Unbelehrten,
den von Hass Gequälten, tief Gesunkenen,
die sich falschen Lehren nicht erwehrten,
die an Mächte dunkler Welt Gebundenen.

Schwere Lügen und Gewalt vereint,
Schuld, verband sie und die Lust
liegt auf ihnen, dicht und schwer wie Stein.
Dämonisch schlägt das Herz in ihrer Brust.

Freuden dieser Welt darfst du nicht trauen,
reich dem die Hand, der übers Wasser lief.
Dein Auge sei in Seinen, mit Vertrauen,
hör, wie Er lang schon deinen Namen rief.

Schau nicht zurück! Das schönste Glück auf Erden
ist nichts, nur Last, wie Lust und Geld.
Drum mach dich frei, nur dann kann Liebe werden,
wenn Er die Schatten nimmt, den Kindern dieser Welt.

Trauer dieser Welt

Göttliche Segenswünsche:
William Adolphe Bouguereau 1825-1905

Die Trauer dieser Welt,
ich will sie tragen
und fern in alle Winde streuen,
ich will sie an den dunklen Tagen,
mit hellem Himmelslicht erfreuen,
will ihr ein Lächeln zaubern,
wenn heiße Tränen rinnen
und durch Verzweiflungsmauern
den Zweig der Hoffnung bringen,
will nie den Mensch vergessen,
tief sitzt sein Weltenschmerz,
drum pflanz’ ich statt des Leidens
nur Liebe in sein Herz.

Keramikflies Quelle: Wikipedia

Ein Sonntag am streng katholischen Niederrhein um 1900

Gekürzter Auszug aus meinem biografischen Roman über Henriette Brey (1875-1953)
Familie Brey aus Kapellen bei Geldern – 15 Kinder, davon 6 jung verstorben.

Hoch über den Baumwipfeln schaute der alte Kirchturm über die Gärten hinweg. Die von Linden umstandene Sankt-Georgs-Kirche, die nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt lag, war unser tägliches Ziel. Nach Einsetzen des anfänglich leisen Glockengeläuts, welches dann bis zur Messe umso lauter und eindringlicher wurde, machten wir uns auf den Weg zum Gotteshaus, wenn Mutter Zeit hatte, bereits am Morgen in der Frühe. Nur manchmal begleitete uns Vater zur Abendandacht, denn nur selten kam er von seiner Arbeit rechtzeitig nach Hause. Aber am heiligen Sonntag, wenn die Glocken noch feierlicher als sonst klangen, gingen wir alle gemeinsam in feinstem Sonntagsstaat zur Messe.

Vater hatte seinen großen Schnurrbart extra gezwirbelt, sein weißer Hemdkragen blitzte unter dem dunklen Anzug hervor. Zu besonderen Anlässen trug er einen schwarzen Zylinderhut, der ansonsten eingeklappt in einer Hutschachtel auf dem Schrank lag. In der Frühe, wenn wir nach unserem Tischgebet gemeinsam gegessen hatten, holte Vater seine Pfeife hervor und polierte den Kupferbeschlag des Pfeifenkopfes aus Maserholz, bis er glänzte. Anschließend kramte er den dunklen Tabak aus seinem ledernen Tabaksbeutel hervor und begann die Pfeife für den Heimweg nach der Kirche aufs Sorgfältigste zu stopfen.

Mutter trug ihr schwarzes Sonntagskleid, das am Hals mit Spitze eingefasst und mit einer Gemme verziert war, dazu eine kleine schwarze Spitzenhaube. Meist legte sie ihre Perlenkette an, ein Geschenk von Vater, welche sie sonst, neben weiteren Goldkettchen, in einem Kästchen im elterlichen Schlafzimmer aufbewahrte.

Wir Kinder wurden ebenso fein herausgeputzt. Jedes Mädchen trug über ihrem von Mutter selbst genähten Sonntagskleidchen eine Schürze, die mit einem Rüschenbesatz an den Armen endete und auf dem Rücken zu einer großen Schleife gebunden wurde. Zöpfe wurden auf dem Kopf festgesteckt und mit Spangen und Bändchen verziert. Die Jungen waren brav gekämmt und liefen mit Pomade fixierten Scheiteln, gesittet und artig, in schwarzen Hosen und weißen Hemden direkt hinter Vater durchs Kirchenportal.

Das Kircheninnere blieb trotz der vielen Menschen kühl. Wir tauchten unsere Finger in das Weihwasserbecken und suchten, nachdem wir uns bekreuzigt und uns demütig mit einem angedeuteten Knicks vor dem Altar verbeugt hatten, eilig die noch leeren Plätze auf den alten Holzbänken auf. Dann begann der Organist, feierlich auf der Orgel zu spielen, und es folgte der sonntägliche Ablauf der heiligen Messe.

Der Priester führte fort: „Der allmächtige Gott erbarme sich euer. Er lasse euch die Sünden nach und führe euch zum ewigen Leben. Amen.“

Es folgte die immer gleichbleibende Liturgie. Als der Höhepunkt der heiligen Opferfeier nahte, wo Christus unsere irdischen Opfergaben in seinen eigenen Leib und sein eigenes Blut verwandelt und so sich selbst dem himmlischen Vater opfert, saß ich ganz still und blickte ehrfürchtig zu den Lichtstrahlen empor, die durch die bunten Kirchenfenster fielen.

Der Pfarrer hatte einmal zu mir gesagt: „Weißt du nicht, Kind, dass in dem Augenblick, wo das heilige Sakrament auf den Altar kommt, der Himmel droben sich öffnet und Christus herniedersteigt und ankommt, dass Engelheerscharen vom Himmel zur Erde schweben und den Altar umringen, wo das heilige Sakrament des Herrn ist und alle mit dem Heiligen Geiste erfüllt werden?“

So harrten wir aus, andächtig und erwartungsvoll, bis uns der Pfarrer den Segen erteilte und in den Tag entließ. Und manchmal glaubte ich Christus gesehen zu haben oder meinte, dass Maria von der Ecke des Altares gelächelt hätte, als ich sie ansah. Dann hing ich noch lange nach der Messe meinen Gedanken nach und grübelte den ganzen Nachmittag.

Gleich nach der Kirche steckte Vater seine Pfeife an und begann ein bedächtiges Gespräch mit Bekannten. Man redete über das neue Pumpenhaus, die geplante Raiffeisengenossenschaft oder über Politik.

Alle sahen in ihrem Sonntagsstaat so anders aus als sonst, mit ihren geschwärzten Stiefeln, gesteiften Hemden und rotbackigen Sonntagsgesichtern. Ich kannte sie alle, die treuherzigen, von der Arbeit gezeichneten Gesichter der Männer und Frauen, auf die der stille Sonntagsfriede seinen sänftigenden Widerschein warf.

Die sittsamen jungen Mädchen, mit ihren messingbeschlagenen Gesangbüchern, gingen vorbei an den jungen Burschen, deren Gedanken wohl schon von der Predigt hinüberschweiften zum kühlen Bier, wo es in den Wirtshäusern „Zum goldenen Löwen“ oder im „Drei Kronenhof“ beim Frühschoppen lustig zuging. Die Wirtsleute konnten sich wahrlich nicht über ausbleibende Gäste beklagen, denn ihre Stammtische und Gaststuben waren sonntags immer gefüllt.

Mein Bruder freute sich auf den langen Sonntag ohne Schulbücher und Unterricht. Zwar war es uns nur erlaubt, in Hof und Garten zu spielen, wo doch ferne die Wiesen und Felder lachten, und es in der Morgensonne blitzte und flimmerte. Wie ein grünes Meer wogten die jungen Roggenfelder und lockten uns mit rotem Mohn und Rittersporn darin.

Dort lag unsere weite Welt und sie gehörte uns, soweit es unser Blick erlaubte, mit allen Bäumen, Sträuchern und Vögeln, mit Wiesen und Feldern voller Windesrauschen und Blütenduft.

Wenn Mutter nach Hause kam, begann sie fettdurchwachsenes Schweinefleisch zu kochen und ihre besten Klöße zu machen, und abends gab es Eierkuchen. Das Dorf roch nach Braten und Apfelkompott. Dann war wirklich Sonntag!

Ein holder Tag, an dem der Arme durch den Besitz eines zweiten Hemdes oder eines besseren Kleides an Selbstwertgefühl gewann und ihn ein Gefühl von Freiheit von den Mühen des Lebens zuversichtlich, heiter und lebenslustig machte.

Kosenamen

Als man mir Kosenamen gab,
war ich klein, in Vertrauen gebettet,
doch die Welt ist gemein, das Namensgrab
hat mich nicht vor Schlägen gerettet.

Vater und Mutter erlebte ich staunend,
wie ein Pionier im Niemandsland.
Eine Vielzahl von Leuten, Wörter ‚raunend‘,
trugen Fragen in meinen Kinderverstand.

Der Faktor „Niedlichkeit“ stand fürwahr
meiner Größe ‚ins Gesicht‘ geschrieben.
Ein Pummelchen (mit lockigem Haar),
…ist leider im Alter geblieben.

Ich hatte mir eine Scheinwelt erbaut,
aus Luftschlössern und Träumen,
mein Himmel hat darüber geblaut,
mit Sonnenstrahlen und Bäumen.

Es gab kaum Entbehrung, manch kleines Leid,
es gab Blumen, Tiere und Lieder,
das Leben war Glück und Fröhlichkeit,
die Menschen, ehrlich und bieder.

Meine Welt war komplett ein Zweckverband,
blieb unverstanden im Herzen,
das Leben, in dem ich mich wiederfand,
schien lieblos, voll Seelenschmerzen.

So stürzte es ein, das erträumte Glück,
die vertraute Welt brach zusammen.
Ich begrub unter Trümmern vom Himmel ein Stück,
konnte hier keine Liebe empfangen.

Universum

Fraktal: Karin M.

Unendliche Kreation
aus Energie und Materie.

Vor Äonen von Jahren
geschaffen aus Od, Klang und Licht.
Wunder der Ordnung.

Vollkommene Reinheit.

Dehnung und Weite.
Werden und Vergehen.
Apokalyptisch dein Ende.

Licht über Chaos und Finsternis,
vergeistigst, verdichtest, gebierst.

Herr über Leben,
nimmst dem Tod den Stachel.

Bahnhof Absurdistan

Die Europabrücke Bahnhof Saint Lazare in Paris – Claude Monet (1840-1926)

Willkommen im Bahnhof Absurdistan!
Hier halten Züge der Zukunft an,

sind menschenleer und leer das Gleis,
und jedes Abteil ist grau und verwaist;

aus dem Fenster starrend, ohne Ton,
schaut ein Geist in die leere Situation.

Die Züge bewegen sich wie im Traum,
so lautlos, wie die Blicke, die sie beschau‘n.

Sie fahren ins Nichts und halten alsdann.
Für wen? Da sind weder Frauen, Kinder, kein Mann.

Die Lautsprecher schweigen im grausigen Nichts,
als wär es die Zugfahrt des Jüngsten Gerichts.

Der Tod ist der Führer des letzten Gefährts,
mit geistiger Fracht fährt er, kalt, ohne Herz,

und die Stationen, die er befährt,
sind den Begriff „himmlisch“ nicht annähernd wert.

Antrieb des Zuges ist Resignation,
fuhr Freude am Leben doch lang schon davon.

Was Menschen erschaffen, wird Staub in der Hand,
sie glauben, ihr Zug fährt ins Niemandsland.

Sind sie Zufallswesen, nur Körper, nichts mehr?
Die Energie des Lebens, wo kommt sie her?

Führt weit sie im Leben der Wissensdrang,
beendet ein Schicksal den geistigen Wahn,

denn den kurzen Weg zum wahren Ich,
geht man erst, wenn man sieht, dass die Brücke bricht.

Man entdeckt im menschlichen Seelenschrein,
auf der Zugfahrt des Lebens sind wir nicht allein.

Der Körper, ein Tempel, wo ein Heiligtum wacht,
Gottes Odem löst, bis es in Liebe vollbracht.

Mein Kind wir waren Kinder

Text: Heinrich Heine, Interpreten: Zupfgeigenhansel

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen ins Hühnerhäuschen,
Versteckten uns unter das Stroh.

Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei –
„Kikereküh!“ sie glaubten,
Es wäre Hahnengeschrei.

Die Kisten auf unserem Hofe,
Die tapezierten wir aus,
Und wohnten drin beisammen,
Und machten ein vornehmes Haus.

Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zum Besuch;
Wir machten ihr Bückling‘ und Knickse
Und Komplimente genug.

Wir haben nach ihrem Befinden
Besorglich und freundlich gefragt;
Wir haben seitdem dasselbe
Mancher alten Katze gesagt.

Wir saßen auch oft und sprachen
Vernünftig, wie alte Leut‘,
Und klagten, wie alles besser
Gewesen zu unserer Zeit;

Wie Lieb‘ und Treu‘ und Glauben
Verschwunden aus der Welt,
Und wie so teuer der Kaffee,
Und wie so rar das Geld! —

Vorbei sind die Kinderspiele,
Und alles rollt vorbei –
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb‘ und Treu‘.

Herbststimmung

Bild von ELG21 auf Pixabay

Wenn die Sonne nicht mehr scheinen will,
steht der Antrieb unsres Handelns still.

Die Natur zieht auf mit Wolkentürmen,
Regen wird das trockne Land erstürmen.

Wo der forsche Wind durch die Alleen weht,
werden grüne Wipfel wie im Tanz bewegt,

und der Herbst singt seine bunte Melodie,
„Abschied“, klingt im Blätterrauschen, irgendwie,

tragen das vergang‘ne Jahr im Blattgewand,
wenn sich Morgendunst im ersten Nebel band.

Frühlingshaft sind junge Menschenleben,
ganz von ungestümer Lebenslust umgeben,

doch bereits im blumenvollen Lenze,
bindet man des Herbstes letzte Kränze.

Wenn bei wilden Stürmen, nassem Wetter,
lichten sich die Zweige, fallen Blätter;

muss bei jedem müden Niedersenken,
an das Sterben von Natur und Menschen denken.