Gekürzter Auszug aus meinem biografischen Roman über Henriette Brey (1875-1953)
Als Josef den Volksempfänger anstellte, dröhnte uns die Stimme Hitlers entgegen. Durchdringend und markerschütternd, bahnten sich dessen Worte den Weg in die Gedanken der Bevölkerung und hafteten dort wie die klebrigen Tentakel eines Kraken.
Bereits im Oktober hatte die neue Regierung festgelegt, dass Hitler als Einziger mit der Bezeichnung „Führer“ zu betiteln sei. Die Kirchen versuchten sich natürlich diesem Gebot zu entziehen. Wie konnte ein anderer als Jesus Christus den Anspruch erheben, Führer unserer Christengemeinschaft zu sein?
Immer mehr Regimekritiker wurden ausgebürgert. Die Mitgliederzahl der NSDAP stieg und stieg. 1934 bekannten sich nahezu drei Millionen zu dieser Partei. Als absoluter Herrscher versuchte Hitler mit seinen Parteigenossen die Gesellschaft auf allen Ebenen organisatorisch wie ein giftiges Pilzgeflecht zu durchdringen. Das Volk wurde bespitzelt und indoktriniert. Ob in Freizeit oder Beruf, die Kontrolle des Staates wurde überall ausgeübt, und wer es wagte, den deutschen Gruß mit ausgestrecktem rechtem Arm zu verweigern, musste mit tief greifenden Repressalien rechnen. Jeder klammerte seine Hoffnungen an Hitlers Versprechungen, der die soziale Not infolge der Weltwirtschaftskrise, mittels nationalsozialistischer Revolution überwinden wollte.
Es wurden neue Gesetze geschaffen, um Arbeitsplätze zu gewinnen, und die deutschen Frauen an den heimischen Herd und zur Familie zurückzuführen. Ein so genanntes „Ehestandsdarlehen“ wurde eingeführt, um die Frauen nach der Heirat zu verpflichten, ihren Beruf aufzugeben. Als „Erhalterin des Volkes“ wurde die deutsche Frau in ihrer Mutterrolle bestärkt. Die Rüstungsindustrie und der vorangetriebene Autobahnbau schafften zusätzliche Arbeitsplätze.
Ende November 1934 kam eine neue NS-Organisation zum Zuge. Mit dem Slogan „Kraft durch Freude“ erhöhte man mit umfangreichen Freizeitaktivitäten die Arbeitsleistung der Volksgemeinschaft.
Das Ministerium für Reichspropaganda unter der Leitung Josef Goebbels wurde mit lautstarken Märschen der Sturmabteilung (SA) gekonnt in Szene gesetzt. Diese Veranstaltungen übten eine Faszination auf die Massen aus. Besonders junge Männer wurden durch Fackeln, Marschmusik, Uniformen, Fahnen und Symbole in den Bann des angeblichen „nationalen Heilsbringers“ und „Erlösers“ Hitler gezogen.
So lauschten wir gespannt den Parolen und neuesten Nachrichten. Genau wie damals vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Abscheu gegen alles Nichtdeutsche schon in den Schulen geschürt. Die hasserfüllten Töne hallten mit gewaltigem Echo fort und fort und wurden besonders gegen die Juden immer lauter und lauter.
An den Fahnenstangen einiger Häuserwände wehten unheilvoll die roten Fahnen der neuen Regierung. Die Hakenkreuze auf weißem Kreis hatten sich als Zeichen der Macht über das ganze Land verbreitet, und auch hier am Niederrhein streuten sie sich zunehmend über die Städte, wie eine braune Saat, die alle Nächstenliebe unter sich begrub.
Wie in allen deutschen Städten wurde auch hier der jüdisch-materialistische Geist „bekämpft“. Jüdische Geschäfte waren geschlossen worden, nachdem der Verkauf dort bereits im Jahre 1933 boykottiert worden war.
Vor meiner niederrheinischen Heimat hatte der neue Geist nicht Halt gemacht und versuchte mit seiner unheilvollen Energie übermächtig in die Herzen der Bevölkerung zu dringen. Wirtschaft, Kultur und Medien tanzten im Takt des Führers und dessen Minister und selbst der Vatikan hatte im Juni des Jahres 1933 mit dem nationalsozialistischen Staat ein Konkordat geschlossen.
Es wurde feierlich vor Gott und den Evangelien geschworen, das Deutsche Reich und die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten. In der pflichtgemäßen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens wollte und sollte der Klerus jeden Schaden verhüten, der dies bedrohen könnte. Fortan hatte der kirchlichen Liturgie im Anschluss an den Gottesdienst ein Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes zu folgen.
Indem Anhänger der christlichen Kirchen die neue Staatsform als den Gottesstaat und seinen Führer als den Heiland und neuen Messias feierten, trugen sie zu der Entwicklung eines Führermythos nicht unwesentlich bei. Hitler wurde dargestellt als deutscher Gottesmann, der in unbegreiflich großer Bruderliebe Gebete lebte und seinen Willen an Gottes wunderbare Allmacht heftete.
Alles Schwache wurde weggehämmert. Hitler begann die Jugend zu formen und die Alten zu schleifen. Das NS-Regime richtete eigene Kindergärten ein, wo natürlich auch ein Morgengebet gesprochen wurde: „Händchen halten, Köpfchen senken und an Adolf Hitler denken!“, war beispielsweise eines davon. Fortan legte man Wert darauf, dass die militärische Ausbildung bereits bei den Kleinsten begann. Zweckdienliches Spielzeug waren Holzsäbel, Helme und Uniformen, woran vor allem die Jungen Freude hatten.
Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend wollte Hitler schaffen. Stark und schön sollte sie sein und vor allen Dingen athletisch. Die totale Erziehung sollte alle Kräfte des menschlichen Körpers und Geistes erwecken und zu hoher Leistung führen. Es sollte ein freier Mensch entstehen – ein Schöpfer, ein Gottmensch.