Erwachen

Foto: Gisela Seidel

Der Vollmond schimmert silbrig in mein Zimmer.
Es ist noch morgenfrisch; langsam vergeht die Nacht.
Um vier Uhr öffne ich die Außentür, wie immer.
Die Katzen haben schlaflos neben mir gewacht.

Foto: Gisela Seidel

Sie brachten ihre liebsten Spiel-Geschenke,
damit ich mich aus meinem Bett erhebe.
Nun sind sie draußen, und ich denke,
es ist noch früh. Wenn ich nur wieder läge!

Foto: Gisela Seidel

Ich schneide Fleisch, zur morgendlichen Stunde,
bringe das Katzenfutter, nass und trocken,
hol frisches Wasser, stell es in die Runde,
säuber‘ ihr Klo. Mein Bett mag mich noch locken.

Foto: Gisela Seidel

Die beiden Katzen haben sich nach einer Weile
längst ausgetobt und liegen faul wie Sofakissen.
Ich blick betreten, müd und schreibe diese Zeile:
Nun bin ich wach. Ich hätt‘ es wissen müssen!

Foto: Gisela Seidel
Foto: Gisela Seidel

Fahrt ins Blaue

Und manchmal,
wenn sich die Sonne neigt,
mit gedämpftem Licht
hinter die Dächer steigt,
ja, manchmal
bin ich der Einsamkeit müde,
mit der ich so lange verwoben,
und ich bitte Gott, dass er mich trüge
von hier unten zu sich nach oben.

Doch manchmal,
erwache ich morgens und strecke
mich gierig aus nach dem Leben,
will Neues und noch vieles mehr –
hab’ keine Zeit zu vergeben.

Und manches Mal denk ich,
so lang ist mein Weg,
den ich mich zu gehen getraue,
so allein, voller Neugier und unentwegt –
geht meine Fahrt ins Blaue.

Frühlingsmorgen

Wie die vielen Vögel singen!
Heben Sinn und Neubeginnen,
was man wohl willkommen heißt.
Über allem ruht der Geist.

Er, der Meister aller Töne,
der das wohl Erhabene, Schöne,
einstig schuf aus Wort und Sinn,
setzt es fort im Neubeginn.

Hört am lichten Tag das Singen!
Liebevoll klingt das Beginnen;
füllt des Lebens Füllhorn stumm,
wandelt Tod in Leben um.

Vertreibt Leere der Gedanken,
bringt die Dunkelheit ins Wanken,
Lässt auf bunten Wiesen blüh‘n,
Vergissmeinnicht und Tausendschön.

Alpträume

Bild: Karin M.

Ängste, die ins Zimmer gleiten,
unvernehmbar still und leis,
Leiten dich durch Dunkelheiten,
auf ein düstres Nebengleis.

Fern vom täglichen Getöse,
angebunden an das Leid,
schaun, dass sich kein Faden löse,
aus dem Angst verwob‘nen Kleid.

Zerren deinem Gottvertrauen
manchen Zweifel aus der Krone.
Halten dich in ihren Klauen,
Lebensfreude wird zum Hohne.

Fehlerhaft das Pentagramm,
wenn der Dämon nicht mehr weicht.
Schlaflos sind die Nächte lang.
Schau, wie Nosferatu schleicht!

Geifernd schwebt er durch die Fenster,
hört dein angstvolles Erflehen.
Ach, es sind doch nur Gespenster!
Schau, wie die Gardinen wehen!

War doch nur ein böser Traum.
Weinend bist du aufgewacht.
Wiederkommen wird er kaum –
bald schon kommt die neue Nacht!

Schein-Freundschaften

Fotograf unbekannt

Freundschaften, die gar keine sind,
entlarvt man in Krisenzeiten.
Plötzliche Klarheit! Man ist nicht mehr blind,
wenn sie uns nicht mehr begleiten.

Was sich verband mit dem täglichen Tun
war wie ein ‚Gebrauchsgegenstand‘.
Jetzt, wo nicht mehr blieb, als lästiges Ruhen,
hat man sich still abgewandt.

Das Telefon klingelt längst nicht mehr,
die vertrauten Stimmen – verstummt.
Meine Anrufliste gelöscht und leer;
da ist auch kein Handy, das summt.

So einsam kann überhaupt niemand sein,
denkt man und gibt sich die Schuld.
Es geht sicher schlimmer, bin nur allein;
mich drückt inn’re Ungeduld.

Das Sprechen verlernt man in ‚Einzelhaft‘,
man IST nur noch über Gedanken.
Erinnerungen, in denen keiner lacht;
mein Leben geriet ins Wanken.

Da ist keine Hand, die mich sicher hält.
Sie sind schon alle gegangen!
Wo sind die Freunde in meiner Welt?
Unlösbar mein Unterfangen.

Verlassen hat man schon lange den Bund,
hat bessere Freunde gefunden.
Mein blinder Fleck auf dem Erdenrund?!
Freundschaft für Jahre, für Stunden?

„Freundschaften wachsen, wenn man sie pflegt.“
Hab ich ‚zu wenig gegossen‘?
Traurig ‚Verbundenheit‘ abgelegt,
das Schicksal hat’s so beschlossen.

Ich glaube nicht

Friedrich von Schiller: „Das Universum ist ein Gedanke Gottes. …
Möglich, daß das ganze Gerüste meiner Schlüsse ein bestandloses Traumbild gewesen. Aber eine Wahrheit ist es, die gleich einer festen Achse, durch alle Religionen und alle Systeme geht! – Nähert Euch dem Gott, den ihr meinet!“

Hin und wieder geißl‘ ich mich und geh‘ hart mit mir ins Gericht
und befrag‘ mich hochnotpeinlich, ob ich glaube oder nicht.
Nur ein bißchen Folter und schon erpress‘ ich mir den Beweis,
dass ich erstens gar nichts glaube und zweitens gar nichts weiß.

Ich glaub‘ nur, dass, wenn es ihn tatsächlich geben sollte,
Er, was hier in seinem Namen abgeht, gar nicht wollte.
Erstmal glaub‘ ich, dass die Weihwasserbeckenfrösche ihn stören
und die viel zu großen Häuser, die angeblich ihm gehören.
Glaubt ihr denn, er ist auf Lakaien und Grundbesitz erpicht?
Ja-Sager und Immobilien?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, wenn es ihn wirklich gibt, dass er’s überaus liebt,
dass sich jemand hartnäckig als sein Stellvertreter ausgibt
und sich für unfehlbar hält.
Ich glaub nicht, dass es ihm gefällt,
dass man ihm krause Ansichten als ’sein Wille‘ unterstellt.

Ich verwette mein Gesäß: Brimborium und Geplänkel
Mummenschanz und Rumgeprotze gehn ihm auf den Senkel.
Dieses Ringeküssen, diese selbstgefäll’gen Frömmigkeiten,
dies in seinem Namen Eselei’n und Torheiten verbreiten.
Glaubt ihr, dass er will, dass irgendwer an seiner Stelle spricht?
Irgend so ein kleines Licht?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, dass er in seiner Weisheit, seinem ew’gen Rat
sowas Abartiges ausgeheckt hat, wie den Zöllibat.
Denn sonst hätt‘ er sich zum Arterhalt was andres ausgedacht
und uns nicht so fabelhafte Vorrichtungen angebracht.
Welch ein Frevel, daran rumzupfuschen, zu beschneiden,
zu verstümmeln! Statt sich dran zu erfreu’n, dran zu leiden.

Und wenn Pillermann und Muschi nicht in den Masterplan passen,
glaubt ihr nicht, er hätt‘ sie schlicht und einfach weggelassen?
Glaubst du Mensch, armsel’ger Stümper, du überheblicher Wicht,
dass du daran rumschnippeln darfst?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, dass ihm der Höllenlärm etwas bedeutet,
wenn man in die göttliche Ruhe hinein die Glocken läutet.
Ich bin sicher, dass er es als schlimme Lästerung betrachtet,
wenn man, um ihn zu bestechen, kleine Lämmerchen abschlachtet.
Und er muss sich sofort übergeben, denkt er nur ans Schächten,
oder an die schleim’gen Heuchler, an diese gottlosen Schlechten,
die scheinheilig die Kinderlein zu sich kommen lassen
und ihnen in die Hose fassen.

Ich glaub‘ nicht, dass er in euren pompösen Palästen thront.
Ich glaub‘ eher, dass er beim geringsten meiner Brüder wohnt.
Eher bei den Junkies, bei den Trebern im Park als in Rom,
eher in den Slums, den Schlachthöfen, den Ghettos als im Dom.
Im Parterre bei Oma Krause, in der Aldi-Filiale,
eher auf dem Straßenstrich als in der Kathedrale,
Wo Schiefköpfige, Händeknetende Schuldgefühle schüren,
Eitel, selbstgerecht, als würden sie ihn an der Leine führen.
Eher als in eurer düstren, modrig-lustfeindlichen Gruft,
Sitzt er unter freiem Himmel in der lauen, klaren Luft,
neben mir auf der Bank vor der Gartenlaube,
bei einer Flasche Deidesheimer Herrgottsacker.
Ja, ich glaube!
Ja, ich glaube!

Quelle: Musixmatch
Songwriter: Reinhard Mey

Corona – Dornenkrone

Glücklos waren manche Tage,
tränenreich, die Nächte lang.
Einer Dornenkrone Plage
war die Überwindung dann.

Auferstanden aus Ruinen,
aus der Asche Neubeginn.
Menschen wählen Licht und Schatten,
schmerzensreich des Lebens Sinn.

Glücklich zählen sich Erlöste,
die in Christus auferstehen.
Doch wer Falsches sucht, der tröste
sich mit Werden und Vergehen.

Menschen tragen Lust und Not,
unbeschwert und unbelehrt,
kreisend durch Geburt und Tod,
sind sie nur zurückgekehrt.

Irgendwann des Wanderns müde
rebelliert der alte Geist,
und er sucht des Auswegs Trübe,
der den Weg „Erlösung“ weist.

Schmerzensreich ist diese Krone,
jubelnd nimmt er sie nun an.
Nicht als Sühne – nur zum Lohne,
dass Erlösung werden kann.

Frühlingsgeister

Kühle Winde stoben,
bald ist es April,
und das Wetter droben,
weiß nicht was es will.
 
Treibt die Winterwesen
durch die grauen Gassen,
fegt mit feinem Besen
über Feld und Straßen.
 
Jung und Alt erleben
Vogelsang und Wende.
Frühlingsgeister geben
sich die Sonnenhände.
 
Knistern, Brechen, Heben
unter dunklen Schollen,
und das bunte Leben
hebt sich aus den Knollen.
 
Segensreich erneuern
wird die Frühlingszeit,
schmückt mit frischen Farben
tristes Erdenkleid.

Abenteuer Leben

Gustave Doré (1832-1883)

Wenn des Lebens Abenteuer
noch an jeder Ecke warten,
fühlt man langer Wagnis Feuer,
durch das viele Pläne starten.

Wo der Weg bereitet liegt,
frei von Steinen oder Stufen.
Wo Barrieren frei er biegt,
hin zu unbekanntem Rufen.

Wie ein Blinder vorwärts geht,
ohne Licht, doch zielbewusst.
Geht ein jeder, und er strebt
froh ergeben und mit Lust.

Fühlt und tastet sich voran,
sieht sich schicksalhaft geführt.
Stolpert er auch dann und wann,
bleibt sein Streben unberührt.

Ohne Ende scheint der Weg.
Vor ihm liegt ein fernes Ziel?!
„Gib nur alles, und du bleibst!“,
wird für ihn ein Pflichtgefühl.

Wund gelaufen ist der Fuß,
muss bald kleine Schritte gehn.
Ihm entzieht sich manches Muss
und die Zeit um ihn bleibt stehn.

An der Schwelle angelangt
zögernd noch der letzte Schritt.
Lauscht des Liedes Abgesang,
nimmt den Glanz des Himmels mit.

Bis zum Abschied von der Welt
blüht ein jeder in der Zeit.
Erst wenn Blatt und Blühte fällt,
vereint uns Gott und Ewigkeit.