Zeit der Raben

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September geht. – Hör schon die Raben!
Seh, wie sie kreisen und nach Futter darben.

Mit Schläue überschweben sie die Menge
an toten Steinen, über Stadtgedränge;

sie streifen grünlich breitende Kulturen,
wie Rasen und die letzten Sommerspuren.

Sie krächzen über nebelhaftem Schleier,
der tausend Tode deckt, in alter Leier.

Des Jahres würdevoller Atemhauch,
vernehmbar,
Blatt für Blatt an Baum und Strauch.

Liebe

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Du Riese der Gedanken, warst nur Schein!
Als ich dir nahte, sah ich mich allein;

schon greifbar, bist du mir entschwunden.
Ich hoffte noch, ich könnt‘ an dir gesunden,

voll Durst erglühen, bis die Flammen sanken –
den Schierlingsbecher leeren, aus dem Götter tranken.

In einem toten Meer aus Wandlung, Schmerz und Licht,
sah ich die Hoffnung, die auf einmal bricht;

ein kurzer Schlag nur, ein gebrochenes Streben –
gleich einem Herz, das ständig lebt im Beben.

Als sie dann fortgenommen, wurd mir klar,
dass Liebe nur ein Schein des Himmels war.

Sibyllenweisheit – Claudius Gang nach Cumae

Priestess of Delphi – John Collier (1850-1934)

Es graute schon der Morgen.
Die Sonne stieg empor am Horizont;
brachte den neuen Tag, noch zeitverborgen,
von abgewandter Welt, wo Fremdheit wohnt.

In Träumen vorbestimmt, war mir, den Weg zu gehen.
Ich ging ihn langsam. – Was er bringen mag?
Nur zögernd kam der Sinn, es zu verstehen,
als schwere Last, die ich alleine trag.

Vom Schlaf beraubt, war schwer die Stirne.
Einsam, der Ort, den ich zu glauben wählte:
die Höhle von Cumae, dessen Geist im Hirne,
der empathielos Wahrheit mir erzählte.

Ängstlich, dem Schicksal Stirn zu bieten
oder es anzunehmen, wurd mir offenbar.
sich aufzulehnen, gegen die, die mich verrieten,
den Thron besteigen, der mir sicher wahr.

Draußen die Kälte, drin das kalte Grauen –
es roch nach Tod, als ich den Berg durchschritt.
Durch diese Höhle glitt mein erstes Schauen,
vom Mittelpunkt gebannt, als es entglitt.

Da lag im Boden, skelettiert die alte,
und in der Mitte saß die neue Seherin;
sie trug das Amt, wie alle die Gestalten,
die vor ihr waren und im Tod vergingen.

In Furcht erstarrten meine Glieder,
vom Mut verlassen sank ich auf die Knie.
Die Sinne schwanden immer wieder,
vom Rauch des Schaleninhalts – irgendwie.

Die Fackeln schwelten an den kahlen Wänden,
erleuchteten den Raum, der rauchdurchzogen;
den Kopf gesenkt und mit gekreuzten Händen,
vor einer Frau, die starr den Blick erhoben.

Sie saß auf ihrem Thron, an einem Orte,
der einzig Licht durchließ zu ihrem Haupte,
die Dunkelheit verschluckte erste Worte,
als sie mir sagte, was ich ahnend glaubte.

Ein rotes Tuch, das ihre Schultern wärmte,
erwärmte nicht die Kälte, die sie brachte,
und ihr Gesicht, das jung und schon verhärmte,
war wie erstarrt, nichts, was sie menschlich machte.

Die Tote, unsichtbar im Raum verborgen,
als sich das kegelhafte Licht im Raum ergoss,
herausgewachsen aus dem Schatten war der Morgen,
der nur die Seherin gezielt umfloss.

„Ich bin gekommen, um mein Schicksal zu erfragen,
auch das von Rom. Wie Feuer brennt es mir!“
Hörte mich stotternd diese Worte sagen;
ich zitterte und schämte mich dafür.

Verändert war der Ausdruck des Gesichtes,
es überkam sie die Gewalt des Sehens;
sie wand sich in der Macht des Lichtes,
prophetisch konnte sie alsdann verstehen.

Ein Windhauch wehte durch den Raum,
ein Flügelschlag hat meinen Sinn gestreift,
und göttlich war die Stimme, wie im Traum,
die aus ihr kam, von Dringlichkeit gereift.

Was sie mir sagte, will die Nachwelt wissen? –
Sie kannte die Geschichte meines Lebens.
Lang liegt bereits mein Schicksal im Vergessen.
Es lehrt: „Der Idiot“ war klug, Gespött vergebens!

Dieses ungewöhnliche Gedicht habe ich dem römischen Kaiser Claudius gewidmet, der zehn Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung geboren wurde. Es gab eine Filmserie, die ich in den 70er Jahren von meinem Krankenbett aus gesehen hatte, in der mich diese Persönlichkeit anzog.

Zu seinen Lebzeiten wurde „Tiberius Claudius Nero Germanicus“, (*1. August 10 v. Chr. in Lugdunum, heute Lyon; † 13. Oktober 54 n. Chr.), von seinen Freunden, Verwandten und Mitarbeitern als „Claudius der Idiot“ oder „Claudius der Stotterer“ verunglimpft. Auch in späteren Geschichtsbüchern wird er dargestellt als ein nicht zurechnungsfähiger Pedant, der seinen Frauen und Sekretären hörig war und eine Marionette der kaiserlichen Garde gegenüber.

In Wahrheit aber war er, obwohl er über keinerlei Praxis verfügte, einer der fähigsten, geschicktesten Herrscher gewesen, die Rom je gehabt hat. Seine finanziellen, religiösen und juristischen Reformen, seine militärischen Erfolge, die großen öffentlichen Arbeiten, die er angeregt hat, seine wohlwollende Gesinnung für das Volk müssen mit großer Bewunderung verfolgt werden.

Viele Beispiele, die für seine sogenannte Stumpfsinnigkeit angeführt werden, beweisen nur, dass er einen sonderbaren, feinen Humor hatte, dem der Beobachter unzugänglich war.

Eine große Klugheit zeigte er in der Außenpolitik, besonders nach Hermanns Sieg über Varus. Er verzichtete auf jede Anwendung von Gewalt, weil er die alteingewurzelte Abneigung der Deutschen gegen jede fremde Einmischung kannte und sorgte vor, stattdessen Britannien für das Römische Reich zu gewinnen.

Hier möchte ich ein Fazit zur jetzigen Zeit ziehen: Vieles ist besser als es scheint!

Herbstlicher Schauer

Ergießt sich regenschwer vom Himmel,
der verborgen blaut,
bis hinter nassen Schwaden,
aus dunklen Wolken,
frachtbeladen,
der Morgen graut.

Die Sehnsucht fließt in jedem Tropfen,
beugt sich dem Zwang der Erde,
saumselig lösen sich die Blätter,
zu fallen mit dem Wetter,
zielbewusst,
dass Herbstzeit werde.

Dichter und Geister

Gemäldeausschnitt – von Guido Reni (1575-1642)

Betrunken von den Worten vieler Stunden,
die im Gedankennetz sich fangen,
die Welt verlassend, schwindlig drehend, runden,
in einer Sphäre tiefer Freiheit landen.

Die Sprache überschlägt sich in der Welle,
als inspirierender Impuls und Reaktion,
die leere Blätter füllt, in einer Schnelle,
als seelentief erwachte Kreation.

Es schreiben mit, die Geister der Epochen –
Gedankenfreiheit aufs Papier gebannt.
Sie klagten an, sie träumten und sie hofften,
der Geist der Fantasie, er ging voran.

Eingeprägt

Bild von Zerro Energy auf Pixabay
Ist es der Zeitgeist, der die Menschen prägt,
der überheblich fremde Prägung wägt?

Sie, als zu leicht befunden aussortiert,
weil deren Maßstab, selbstverliebt, sich irrt.

Der Überfluss prägt Neid in dieser Zeit,
man nimmt und ist zum Teilen nicht bereit.

Es folgt ein Fluss, der Krieg und Frieden bringt -
das Volk trägt Demut, die um Wahrheit ringt.

Weltreiche gingen blind durch Wahn und Zeit,
trugen ein blutgetränktes Totenkleid.

Das Schicksal dieser Welt wird offenbar:
sie bleibt, wenn ewig Gutes Prägung war.

Jägerlatein

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Was man körnerweise säte,
spross aus sonnenwarmer Erde;
garbenweise band man’s früher,
fuhr das Heu und Stroh zu Pferde.

Abgeerntet sind die Felder,
und die Jäger schießen wieder;
Schüsse hallen durch die Wälder,
töten Wildbret und Gefieder.

Schrot und Korn auf die gerichtet,
die in Freiheit äsend ziehen;
blutig ist der Tod und sinnlos,
schutzlos ins Gehölz zu fliehen.

Und der Jagdstock treibt noch immer. -
Tun‘s die Guten oder Bösen?
Menschen wechseln ihr Gewand,
doch sie wechseln nie ihr Wesen.

Jagdtrophäen für die 'Potenten',
die sich gern mit Leichen schmücken,
die beim Töten mit Gewehren
ihre Schwächen überbrücken.

Voll von Schnaps und Mordgelüsten,
nimmt die Treibjagd ihre Wende.
„Ist nur der Natur zum Besten!“ -
"Halali" – des Tötens Ende?

Herbstzeit

Die müden Blätter fallen von den Zweigen
und auf den Straßen liegt das nasse Laub;
schwer, wie die Äste sich im Wind verneigen,
und Regen mischt sich mit dem Straßenstaub.
 
Von Ferne naht die Nacht mit dunklen Schatten,
und um die Häuserecke pfeift der Wind.
Ein braunes Blatt tanzt auf den Gehwegplatten;
die feuchte Luft macht Fensterscheiben blind.
 
Spinnweben schmücken sich, wenn Tropfen fallen –
der Regen zieht schon über Stadt und Land.
Mit vollen Zweigen die Kastanien prahlen,
stehn majestätisch dort am Straßenrand.
 
Hör’ fern vom Kirchturm her der Abendglocke Ton.
Ihr Klang ist anders, als an Sommertagen.
Die graue Stille ist des Herbstes Handwerkslohn –
bald kommt die Kälte, will das Läuten sagen.
 
Und oft in dieser finstren Totensonntags-Zeit,
lässt sich ein Lichtstrahl durch die kahlen Äste gleiten.
So wirst du Mensch – traf dich auch wehes Leid –
zu neuer Hoffnung über Gräber schreiten!
 

Amsterdam

von Wolf von Kalckreuth

The Montelbaanstower in Amsterdam – Cornelis Christiaan Dommersen  (1842–1928)

Gleich stillen Farben auf erschlossnem Fächer
Eint sich der schmalen Häuser Grau und Rot,
Und über grünem Kahn und weißem Boot
Der Schmuck der Giebel und der tausend Dächer.

Das Brausen der bewegten Kais wird schwächer
In diesen Straßen, wo der Lärm verloht.
Und in der Ferne bleichen Mast und Schlot,
Die Fischerewer und die Wellenbrecher.

Unzähl’ge helle Fensterreihen schaun
Auf die Kanäle, wo die Nachen stocken,
Wo vor den Brücken sich die Schuten staun.

Die Sonne taut durchs Laub in großen Flocken
Und in der Luft perlmutterfarbnes Blaun
Entfließt und singt das lichte Spiel der Glocken.

Wolf Graf von Kalckreuth, um 1903 (1887-1906)