Sang und Klang

Song of the heart – Joel Kirk Richards (1976*)
Singen möcht‘ ich, helle, reine Töne,
in die missklangreiche Welt hinein.
Möcht‘ ihr bringen, was den Geist verschöne,
Dur und Moll im Lied vereinen.

Wie die Vogelstimmen, die am Morgen
Tag und Sonne freundlich singend grüßen,
möcht‘ mein Lied, die allergrößten Sorgen
wandeln, dass sie schnell vergehen müssen. 

Auf dem Blütenteppich bunter Träume,
unter Bäumen, deren Kronen rauschen,
soll die grenzenvolle Welt der Zäune
meinen hellen Liedern lauschen.

Die Akkorde möchten aufwärts schwingen,
wie die Wolken, die um Berge kreisen.
Augenschließend werden sie erklingen,
wie ein Schiff durch Wolkenmeere reisen. 

Um ein notenreiches Werk zu singen,
hebt die Menschheit sich vereint zum Chor. 
Bleibt es nur ein Traum? - Ein hehres Ringen
bringt das allerschönste Lied hervor. 

Mutter

Almuth Sidonie Köhler, geb. Nicolay (1925-1997)
Mein Licht warst du! –
So eng und ganz verbunden, 
wie es ein kindliches Gemüt begreifen kann.

Herzlose Taten von dir,
hab ich nie verwunden,
die mir das Ur-Vertrauen schließlich nahmen.

Als kleines Mädchen
legte ich all mein Denken,
mein ganzes Dasein, brav in deine Hand. 
Dem Vater dienend -
so wie du, ihm Achtung schenken,
und immer folgsam sein, von Anfang an.

Du hast mich viel gelehrt,
von Nähmaschinen, 
vom Stricken, Häkeln u.s.w.
 
Bei uns zu Hause 
hast du glatt gebügelt,
was vor den Augen anderer, wie Plissee. 
Meine Eltern 1950
Den Leuten zeigtest du 
stets nur Fassade. Es ging darum,
mit Lächeln das Gesicht zu wahren. 

Im Vater-Mutter-Kind-Spiel
zuzuschlagen, ganz gleich warum, 
war mir aus Angst in Mark und Bein gefahren.

Still zugesehen, hast du - 
eiskalt war dein Fühlen -
weil’s dir am fremden Leib gerecht erschien.

Du strafst mich immer noch, 
wenn die Gedanken in mir wühlen.
Ich kann, so weit ich laufe, nicht entfliehen. 
Ihr wart so groß!
Ich nur ein kleiner Wicht,
der stets erdulden musste, was geschah.

Hab zu dir aufgesehen -
verklärt ist dein Gesicht.
Du lebst in meiner Seele, immerdar! 

War’s nicht genug

Aus dem Buch „Die Ephides-Gedichte“

Neil Black – Violín Fantástico, Vol. 2

Bild von Frauke Riether auf Pixabay
War’s nicht genug, dass der Menschen unzählige starben,
Stürzend, wie blühende Bäume, vom Blitze zerschellt?
Schleichet der Schatten, die Fackel gesenkt und die Stirne,
immer noch lüstern nach Leben durch unsere Stadt?

Wo er sein Auge erhebt, müssen Wesen ihm fallen;
Jetzt, nach den Menschen, die Bäume – das tröstliche Grün,
über Ruinen gebreiteter Schleier der Schönheit,
Spitzengardinen vor Fenstern, die keine mehr sind,

silbergewoben im Mondlicht. Lebendiger Atem
zwischen zerstürztem Gemäuer, das Leben begrub.
Ragende Stämme im Schutt und erhobene Häupter –
Beispiel und Sinnbild für uns, die wir Kämpfende sind.

Wehe der Welt, wenn die Not uns gebietet zu morden,
was wir bewundern! Und keiner weiß Trost uns denn ihr,
ihr meine Bäume! Noch sterbend in strahlender Flamme
senkt ihr den Segen der Sonne ins frierende Herz. 

„Leben ist nicht genug“, sagte der Schmetterling. „Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume gehören dazu.“ – Hans Christian Andersen im Märchen „Der Schmetterling“

Zeitgeist

Die Zeit vergeht,
so zäh wälzt sie sich oftmals,
wie ein Lavastrom
und so behäbig,
manchmal scheint’s,
sie ist nur Illusion.

Durch die Epochen
kommt sie gekrochen;
doch halten kann man sie nie,
und irgendwann wird sie vergehen,
mit ihr das Zeitgeschehen,
und eine neue Zeit
sie folgt der alten,
so, wie ein endlos Band
geknüpft an die Gewalten
der vergang’nen Zeiten,
steht sie in dunklem Kleid
und hast du sie erkannt,
wird sie dir sanft entgleiten.

Am Wege

Peder Mørk Mønsted (1859-1941)
Die alte Weide treibt in ihren Ruten
die neuen Blätter, himmelwärts, zum Licht.
Sie spiegelt sich verzerrt in ruhigen Fluten
des Baches Lauf und fließend Angesicht.

Die hellen Birken nässen ihre Zweige 
im Morgentau und wiegen sanft im Wind;
bald stehn sie da, in neuem Frühlingskleide, 
die Krone tragend, weil sie Königinnen sind.

Die Bäume öffnen sehnsuchtsvoll die Lüster -
ein rechter Ort zum nächsten Nesterbau. 
Ein Rascheln - heimlich geht ein Flüstern
durch alle Welt von Baum und Wiesentau.

Der erste Löwenzahn ist gelb erblühet,
mit weißen Gänseblümchen ringsumher,
die Vögel sind in aller Herrgottsfrühe
dem blauen Himmel nah, im Sonnenmeer.

Im Frühlicht möcht‘ ich stehen, bei den Bäumen,
und Deinen heil’gen Atem spüren.
Fühl‘ Dich in jedem Lächeln, jedem Träumen;
auf allen Wegen wirst Du mich berühren.

Weltkinder

William Adolphe Bouguereau (1825-1905)
Sind so verletzlich, tief in ihren Seelen,
schauen vertrauensvoll in diese Welt hinein,
gehn auf die Erde in ein neues Leben,
wollen geschenkte Gottesliebe sein.

Wachsen mit den Alltäglichkeiten,
sehen uns oft mit feuchten Augen, fragend an:
Wie kann es sein, dass noch in unsren Zeiten,
ein weißes Lächeln mehr zählt, als das schwarze nebenan?

Der Himmel segnet alle Menschenkinder,
gleich welcher Farbe, welcher Tradition.
Die Kinder sind die neuen Weltengründer,
Gott lebt in jeder alten Religion.

Des Weges Stück

Patrick Seidel (1981-2019)
Vorangegangen, bist du, ins unbekannte Land.
Ich hör‘ es noch, dein spaßig Lachen,
das unbekümmert dich mit mir verband.

Du trugst Gelassenheit, wie eine Rüstung,
sie schützte dich in dieser Welt.
Wo Ordnung herrscht, in deutscher Listung,
blieb dir der Weg durch Anderssein versperrt.  

Du wusstest nicht, dass du gesegnet bist,
wenn die Gesellschaft es auch anders sah,
dass jeder Lebensweg voll Zauber ist,
und deines Werdens Weg ganz wunderbar.

In dieser weißen Welt hast du gelitten,
warst ausgegrenzt, dem Flüchtling gleich. 
Konnte es fühlen; bist dem Mob entglitten,
dein guter Geist hat dich davon befreit.

Im Vonmirgehn nahmst du mein Lieben mit,
als du zu früh durch’s Tor des Todes schrittst.
Was hier ein Sterben, war des Weges Stück,
dich heimbereitend einzuziehen, Gottes Blick. 

Wintermüde

Foto: Andrzej Berłowski – Quelle: Pinterest
Wintermüde ist mein Leben;
ich fühl noch des Frostes Schliff.
Tausendfach dem preisgegeben,
was mit kalten Händen griff.

War betäubt, wie leidumnachtet,
leergeweint im Wankelmut,
fuhr der letzte Hoffnungsschimmer
durch mein frosterstarrtes Blut. 

Sehnend nach des Frühlings Milde,
nach der Leichtigkeit des Seins;
war mit Ungeduld im Bilde,
denn das Warten war nicht meins.

Meine Wimpern, eisverhangen,
tauten auf, gelöst in Tränen.
Was bedrückte, ist vergangen -
Frühling fließt in meinen Venen. 

Trink die Tränen, gute Erde!
So viel Hoffnung ging zu Boden.
Tröste unser Sein und werde
Sonne uns, von Heut und Morgen.

Schlüssel zum Herzen

Jakub Schikaneder (1855-1924)
Geschlossen!, steht an deinem Herzen;
du hast die Tür fest zugemacht vor Jahren.
Bitt’re Erfahrung, Schuld und Trennungsschmerzen –
hast nie verwunden, was dir widerfahren.
                                
Gefängniswärter deines Seelenkerkers
bist du allein – den Schlüssel hast nur du.
Mimst auf der Lebensbühne Kraft und Stärke,
doch hinterm Vorhang, da schaut keiner zu.
 
Du hast dich fast daran gewöhnt, an dieses Leben.
Zu hoch die Seelenmauern, unbezwungen,
die grau und stählernd fest dein Herz umgeben –
Wärme und Licht sind dort nie durchgedrungen.
 
Selbst unter Menschen fühlst du dich allein,
sehnst dich nach Nähe und erlaubst sie nicht.
Nur Gott darf manchmal milder Tröster sein
und Engel wärmen dich mit Himmelslicht.
 
Öffne dein Herz und schließe inn’ren Frieden,
die Zeit heilt manche deiner Lebenswunden;
lass’ das Gefühl von Liebe wieder siegen,
genieße still die wahren Götterstunden.

Wie ein Baum

Wenn einst zur Stärke dein Wachstum dich führt,
so, wie ein Keimspross zum Baumstamme wird;
trag auch du, wie ein Wipfel die flüsternde Krone,
sei Heimat für jene, die im Schutz bei dir wohnen.

Während des Regens, im rauschenden Quell,
sei wie ein schirmendes Dach an der Stell, 
in dem sich im Anschluss das Sonnenlicht bricht;
zeig, wie im Schwingen der Blätter, das Licht.

Aufsteigend wachse, zielstrebig, mit Lust;
fühl‘ das Schwingen des Baumes in deiner Brust.
Ihn trieb ein lebendiges Strahlen empor,
zu dem ihn erleuchtend die Gottheit erkor. 

Im Innern vollendet, spür‘ im geistigen Licht,
wie Sehnsucht durch heil’ges Erschauern bricht;
dring, wie der Baum, zu den Himmeln empor,
der sich schweigend an seinen Schöpfer verlor.