Am Wege

Peder Mørk Mønsted (1859-1941)
Die alte Weide treibt in ihren Ruten
die neuen Blätter, himmelwärts, zum Licht.
Sie spiegelt sich verzerrt in ruhigen Fluten
des Baches Lauf und fließend Angesicht.

Die hellen Birken nässen ihre Zweige 
im Morgentau und wiegen sanft im Wind;
bald stehn sie da, in neuem Frühlingskleide, 
die Krone tragend, weil sie Königinnen sind.

Die Bäume öffnen sehnsuchtsvoll die Lüster -
ein rechter Ort zum nächsten Nesterbau. 
Ein Rascheln - heimlich geht ein Flüstern
durch alle Welt von Baum und Wiesentau.

Der erste Löwenzahn ist gelb erblühet,
mit weißen Gänseblümchen ringsumher,
die Vögel sind in aller Herrgottsfrühe
dem blauen Himmel nah, im Sonnenmeer.

Im Frühlicht möcht‘ ich stehen, bei den Bäumen,
und Deinen heil’gen Atem spüren.
Fühl‘ Dich in jedem Lächeln, jedem Träumen;
auf allen Wegen wirst Du mich berühren.

Weltkinder

William Adolphe Bouguereau (1825-1905)
Sind so verletzlich, tief in ihren Seelen,
schauen vertrauensvoll in diese Welt hinein,
gehn auf die Erde in ein neues Leben,
wollen geschenkte Gottesliebe sein.

Wachsen mit den Alltäglichkeiten,
sehen uns oft mit feuchten Augen, fragend an:
Wie kann es sein, dass noch in unsren Zeiten,
ein weißes Lächeln mehr zählt, als das schwarze nebenan?

Der Himmel segnet alle Menschenkinder,
gleich welcher Farbe, welcher Tradition.
Die Kinder sind die neuen Weltengründer,
Gott lebt in jeder alten Religion.

Des Weges Stück

Patrick Seidel (1981-2019)
Vorangegangen, bist du, ins unbekannte Land.
Ich hör‘ es noch, dein spaßig Lachen,
das unbekümmert dich mit mir verband.

Du trugst Gelassenheit, wie eine Rüstung,
sie schützte dich in dieser Welt.
Wo Ordnung herrscht, in deutscher Listung,
blieb dir der Weg durch Anderssein versperrt.  

Du wusstest nicht, dass du gesegnet bist,
wenn die Gesellschaft es auch anders sah,
dass jeder Lebensweg voll Zauber ist,
und deines Werdens Weg ganz wunderbar.

In dieser weißen Welt hast du gelitten,
warst ausgegrenzt, dem Flüchtling gleich. 
Konnte es fühlen; bist dem Mob entglitten,
dein guter Geist hat dich davon befreit.

Im Vonmirgehn nahmst du mein Lieben mit,
als du zu früh durch’s Tor des Todes schrittst.
Was hier ein Sterben, war des Weges Stück,
dich heimbereitend einzuziehen, Gottes Blick. 

Wintermüde

Foto: Andrzej Berłowski – Quelle: Pinterest
Wintermüde ist mein Leben;
ich fühl noch des Frostes Schliff.
Tausendfach dem preisgegeben,
was mit kalten Händen griff.

War betäubt, wie leidumnachtet,
leergeweint im Wankelmut,
fuhr der letzte Hoffnungsschimmer
durch mein frosterstarrtes Blut. 

Sehnend nach des Frühlings Milde,
nach der Leichtigkeit des Seins;
war mit Ungeduld im Bilde,
denn das Warten war nicht meins.

Meine Wimpern, eisverhangen,
tauten auf, gelöst in Tränen.
Was bedrückte, ist vergangen -
Frühling fließt in meinen Venen. 

Trink die Tränen, gute Erde!
So viel Hoffnung ging zu Boden.
Tröste unser Sein und werde
Sonne uns, von Heut und Morgen.

Schlüssel zum Herzen

Jakub Schikaneder (1855-1924)
Geschlossen!, steht an deinem Herzen;
du hast die Tür fest zugemacht vor Jahren.
Bitt’re Erfahrung, Schuld und Trennungsschmerzen –
hast nie verwunden, was dir widerfahren.
                                
Gefängniswärter deines Seelenkerkers
bist du allein – den Schlüssel hast nur du.
Mimst auf der Lebensbühne Kraft und Stärke,
doch hinterm Vorhang, da schaut keiner zu.
 
Du hast dich fast daran gewöhnt, an dieses Leben.
Zu hoch die Seelenmauern, unbezwungen,
die grau und stählernd fest dein Herz umgeben –
Wärme und Licht sind dort nie durchgedrungen.
 
Selbst unter Menschen fühlst du dich allein,
sehnst dich nach Nähe und erlaubst sie nicht.
Nur Gott darf manchmal milder Tröster sein
und Engel wärmen dich mit Himmelslicht.
 
Öffne dein Herz und schließe inn’ren Frieden,
die Zeit heilt manche deiner Lebenswunden;
lass’ das Gefühl von Liebe wieder siegen,
genieße still die wahren Götterstunden.

Wie ein Baum

Wenn einst zur Stärke dein Wachstum dich führt,
so, wie ein Keimspross zum Baumstamme wird;
trag auch du, wie ein Wipfel die flüsternde Krone,
sei Heimat für jene, die im Schutz bei dir wohnen.

Während des Regens, im rauschenden Quell,
sei wie ein schirmendes Dach an der Stell, 
in dem sich im Anschluss das Sonnenlicht bricht;
zeig, wie im Schwingen der Blätter, das Licht.

Aufsteigend wachse, zielstrebig, mit Lust;
fühl‘ das Schwingen des Baumes in deiner Brust.
Ihn trieb ein lebendiges Strahlen empor,
zu dem ihn erleuchtend die Gottheit erkor. 

Im Innern vollendet, spür‘ im geistigen Licht,
wie Sehnsucht durch heil’ges Erschauern bricht;
dring, wie der Baum, zu den Himmeln empor,
der sich schweigend an seinen Schöpfer verlor. 

Das irdische Paradies

Irdisches Paradies – Jan Brueghel d. Ältere (1568-1625)
Längst offenbart ein Ort am Welten-Ende,
dort läg‘ ein Reich, wenn wir es fänden,
dann würde niemand mehr des Hungers darben,
und alle Menschen, die auf Erden starben,

sie würden aufersteh‘n zu neuem Leben,
es würde niemals wieder Kriege geben,
wir lebten friedlich, ohne Hass und Neid,
vergangen wären Schmerz und Einsamkeit.

Durch diesen Zauber würde Böses gut;
die ganze Menschheit nur noch Gutes tut.
Krankheit und Tod, die würden nicht mehr sein,
vergessen wären Traurigkeit und Pein.

Die Zeit, sie wäre nicht mehr wichtig
und alle Religionen wären nichtig.

Es gäbe nur noch Jugend – keine Alten;
das Leben nach dem eignen Plan gestalten,
das könnte jeder Mensch nach seinem Willen
und Liebe würde unser Dasein füllen.

Wenn alle Hässlichkeiten schwinden,
würden wir dort nur Schönheit finden.
So würden schließlich alle Grenzen fallen,
und diese Welt gehörte endlich allen.

Die alte Schwingung würd’ es nicht mehr geben,
nur stetes Glücksgefühl und ew’ges Leben.
Die Dimensionen wären transparent,
wir lebten gottesnah, nichts was uns trennt.

Es gäbe keine Reinkarnation,
nur noch das Hier und Jetzt in höchster Lebensform.
Kein Gestern und kein Morgen würd’ uns quälen;
nur eines müssten wir für alle Zeiten wählen:

Dass wir, um Tod und Teufel abzuschwören,
nie mehr ein Kinderlachen hören!
Frederick Morgan (1847-1927)

Die Erde ist ein Schulungsort für die Seele. Hier sammelt der Mensch Erfahrungen, kann Fehler machen und von diesen Erkenntnissen profitieren. Dinge, die falsch gemacht worden sind, können hier wieder gutgemacht werden. Wir dürfen besser werden und Erfolg haben, wenn wir versagt haben. Das Erreichen des Zieles bedarf einer Formung des Charakters. Deshalb müssen wir uns der Realität stellen. Das Schicksal zwingt uns, Gott im Innen und Außen zu suchen. Es gab immer große Krisen auf dieser Welt und wir fragen: „Warum?“ Nicht immer findet man eine Antwort. Allein die Tatsache, dass man die Frage stellt, ist ein Zeichen dafür, dass die Seele zu sich selbst und zu Gott finden wird.

Sonnenwelt

Foto: Gisela Seidel
Du, Frühling, der die Welt belebt,
lass blühen, was blühen will!
Wo Gottes Geist aufsteigend weht,
dort steht der Winter still. 

Treib Fruchtbarkeit in Raum und Zeit,
blas' Tod und Kälte fort.
Erwacht im Licht - empfangsbereit
ist der verschlossene Ort.

Wie Sand, bleibt unfruchtbar zurück,
was Kälte dunkel hält.
Lass wachsen in dir, zeitentrückt,
die lichte Sonnenwelt. 

Morgenfrühe

Quelle: Pinterest
Ich brauch die Ruhe früher Morgenstunden,
die wie ein Fließen mit dem Tag erwachen.
Mit letztem Schlaf und Dunkelheit verbunden,
treib Phönix gleich ich auf dem Traumwelt-Nachen

in einen weiten See der neuen Augenblicke;
wenn ich die Lider öffne, leidensfrei,
nehme ich dankbar an, des neuen Tages Bitte,
behutsam sein, wie Gegenwart auch sei.    

Es geht ganz leis die Nacht, wie all die Jahre,
deckt zu, was dunkel im Verborgenen liegt.
Obwohl ich sie schon längst verschlafen habe,
ist Traum- Essenz in meinem Denken, fest und tief. 

Im Glanz des Morgens ein Geschenk zu sehen,
als Gottesgabe, es mit Dank empfangen;
gestärkt sein für das weitere Weltgeschehen
und nach Vollendung Wahrheit zu erlangen. 

Kriegsjahre

aus: „Die Ephides-Gedichte“

John William Waterhouse (1849-1917)
Die Jahre müssen wahrlich doppelt zählen,
durch die des Krieges tiefe Radspur schneidet,
so tief wie Bombenkrater im Gelände,
das wie aus toten Augen blicklos starrt. 

Hier rauschte einst der Wald mit vielen Wipfeln -
hier schweigen jetzt die Gräber vieler Menschen.
Was lebte, starb, was jetzt noch lebt, das hungert,
wie diese Krüppelkiefern hier im Sand.

Geduld! Es kommt ein Regen, uns zu laben,
vielleicht auch nur der Sturm, um uns zu brechen.
Wir wurzeln nicht mehr tief genug zum Leiden,
das Ende wird uns leicht und gnädig sein.

Kam ich nicht her, ein teures Grab zu suchen,
dass ich in junges Grün gebettet glaubte?
Wo, in der Wüste will ich jetzt es finden?
Ach, nach Oasen such ich nur, nach Trost.

Da! Endlich, endlich! Wald kommt mir entgegen.
Ein Stück Natur noch rein und ungeschändet,
streckt grüne Arme aus. Ich bin gerettet!
Wie spielend greift ein Rosenstrauch nach mir;

ein Rosenstrauch auf einem Efeuhügel.
Ich kenne ihn gut. Ich hab ihn einst gefunden,
als er am Weg sich zwischen Steinen mühte,
und hab ihn auf ein totes Herz gepflanzt.

Nun baut er Bogen über Kreuz und Hügel,
ein Baldachin aus purpurroten Blüten
mit spitzer Dornenwehr, zum Schutz des Schläfers,
des Ritters mit geschlossenem Visier.

Nur mir enträtselten sich deine Züge:
Der jungenhafte Trotz der rechten Braue,
die hilflos zarte Seele, die im Winkel 
stahlharter Augen wohnt und sich versteckt

vor deinem Stolz, der dir den Nacken steifte,
ach, und dem Schalk der dir zu schaffen machte,
und deinen herben Mund, der selten lachte,
mit kleinen Wellen feinen Spots umspielt. 

Mein Kämpfer du, zu dem ich mich geflüchtet,
die ich allein und ohne Schützer stehe.
Ich spür, wie deine Kräfte mich umranken
mit Blüt‘ und Dorn, wie dich mein Rosenstrauch.