Herbst-Impressionen

Hans Andersen Brendekilde (1857–1942)

Man schmeckt den Herbst,
er schmeckt nach Haselnüssen,
nach Pflaumenkuchen und nach Apfelküssen,
nach Butterbirnen und Erinnerungen,
den – selbst im Alter unzerstörbar jungen.

Man riecht den Herbst,
er riecht nach letzten Rosen,
nach bunten Astern und nach Herbstzeitlosen,
nach Rauch und Feuer auf Kartoffelfeldern,
nach Pilzen, selbst gesucht in Heimatwäldern.

Man sieht den Herbst,
er prangt in allen Tönen
und will mit Früchten Mensch und Tier verwöhnen,
man hört sein Lied und spürt die festen Bande,
die man als Kind geknüpft zum Heimatlande.

Otto Daschowski

Erlösungsworte

Geht ein Kampf durch Licht und Dunkel,
trennend, schmerzlich ist der Schnitt,
fern beseelt im Sternenfunkeln
geht der Geist des Chaos mit.

Viele Leben gehen verloren
und die Seelenteile schwinden.
Hässlichkeit wird neu geboren,
wo im Zauber sie sich finden.

Wie im Märchen, nennt man Namen,
den sie lang vergessen hatten,
ihr vom Geist gehalt‘ner Rahmen,
wird zerbrechen an den Schatten.

Nur die Liebe kann entzaubern,
löst in mannigfacher Form.
Durch den Missklang geht ein Zaudern,
böse, die Gestalt der Norm.

Bald zerbrechen alle Schalen,
und die Herzenskälte weicht,
wenn man dem, mit schlimmen Namen,
liebevoll die Hände reicht.

Fragen

Die dunklen Flüsse tragen schwer
an ungelösten Fragen,
wälzen sich träg vom Land zum Meer,
Vergessenes längst begraben.

Sie sanken auf den tiefen Grund,
wie Flüche, die verbannten.
Den frei gewaschenen Stein im Bund,
gerundet hart die Kanten.

Kein Sonnenstrahl drang je hinein,
die Dichte zeigt kein Weichen.
Wo warmes Licht belebt den Rain,
da lässt kein Schein sie bleichen.

Verdichtet ist, was leblos dann
gelähmt am Vorwärtsschreiten.
Wer über’s Wasser laufen kann,
gehört den Ewigkeiten.

Die Fragen mancher dunklen Zeit,
sie bieten kein Verstehen;
sie werden mit der Gegenwart
gemeinsam untergehen.

Operation

Gaspare Traversi (1722-1770) – Gallenoperation

Gedanken schwinden mit den Schmerzen,
versickern in des Fleisches blutigen Kanälen,
erhöhen Puls und Schlag des schwachen Herzens,
drehn sich um sich im dunklen Reich des Quälens.

Die messerscharfe Öffnung körpereigener Regionen,
ist fremder Zugriff im geschlossenen System.
Fern scheint der Ort, wo Musengeister wohnen,
ihr tristes Schweigen ist nicht angenehm.

Vom Schmerz umhüllte Last der schweren Tage,
wo die Ideen untergehn im Fluss des Denkens,
Tiefsinnigkeit – Patient auf einer Trage,
Heilung wird sanfter Geist des Schenkens.

Ehrgeiz und Wahn

Planetarium Bochum

Wie wunderschön der Erde Glanz,
sie strahlt in allen Farben,
als wär’s der Schöpfung erster Tanz,
der Ausdruck ihrer Gaben.

Allmorgendlich erwacht die Welt
im fernen Sonnenglühen,
und jeder Winkel wird erhellt,
lässt die Natur erblühen.

Besessener Ehrgeiz ist ein Wahn,
will ungestillt zerstören,
der Mensch greift unseren Erdball an,
will Göttern angehören.

Unsterblichkeit erreicht er nicht,
von Engeln ist’s gesungen.
Die Christlichkeit ist eine Pflicht,
die lang schon scheint verklungen.

Man beutet aus – der Menschen Not
missachtend hingenommen.
Reichtum und Macht zerstören das Brot,
das sie von Gott bekommen.

Bald wird der ‚Siebte Tag‘ zur Nacht,
erloschenes Schöpfungswesen.
Wird dann die Welt in alter Pracht
am ‚Achten Tag‘ genesen?*

*Lt. Jüdischer Überlieferung ist der 8. Tag nach der 7-Tage-Schöpfung prinzipiell der Tag der Auferstehung als Neuschöpfung.

Lebensspirale

Lia Chechelaschwili *1971

Wenn stiller Tag Erinnerungen findet,
der Jahre, die vorüber, eilt die Zeit.
Wie eine Spule, die sich schneller windet,
wenn nur noch wenig abzuspulen bleibt.

Nur noch ein kleines Bisschen! Die Spirale,
sie dreht fast unsichtbar im raschen Kreis.
Die Optik täuscht. Kurz steht es vorm Finale,
in dem der Spule letzter Inhalt reißt.

Ein Schattenspiel – es endet im Verblassen,
macht manche dunklen Töne hell und licht.
Durch Nebel geht das irdische Verlassen,
wenn Sonne durch die Himmelsfirnis bricht.

So duftig trägt der Wolkenzug das Ende,
wie Zuckerwatte, süß, in höchstem Glück,
und die Spirale zieht schon längst in Wende,
ein neues Band – ein neues Lebensstück.

Des Geistes Nacht

John Atkinson Grimshaw (1836-1893) – Geist der Nacht

Die vielen Sprachen dieser Welt wirbeln im Wind,
bestrahlt von Sonne, Mond und Sternen.

All die, die tief im Herzen stumme Seelen sind,
reden mit leeren Worten, nicht bereit zu lernen.

Die vielen Augen dieser Welt, sie schauen,
doch geht ihr Blick ins Niemandsland hinein.

Sitzen am Meer, wo sich die Wellen bauen,
wollen kein kleines Korn des Strandes sein.

Schweig still, du wirres Klagewort der Welt,
begreif‘s als Mahnung in des Geistes Nacht:

Die Sterne stehen am Himmel ungezählt,
erhellen unsern Weg bis es vollbracht.

Herbststurm

Bild von holdosi auf Pixabay

Es türmt der Sturm die Wolken auf,
und rüttelt an den Bäumen,
ein Regentag nimmt seinen Lauf,
der Mensch erwacht aus Träumen.

An Fensterscheiben, tropfenschwer,
rinnt früh der erste Schauer.
Die Welt scheint einsam, vogelleer,
und muss sich selbst bedauern.

Wo noch der Blüten letzte Pracht
bis in den Herbst geschoben,
kam nun der Wind, hat über Nacht
den bunten Flor zerstoben.

Bald eilt vorbei, was zwingend muss,
vom Rückenwind getrieben.
Die Straße scheint ein grauer Fluss,
das Wetter windbetrieben.

Dur und Moll

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wenn der Tag vorüberzieht,
spielt das alte Lebenslied,
ist im Tongeschlecht der Zeit,
stets zur Symphonie bereit.

Lässt in Dur und Moll erklingen,
Töne weinen oder singen,
Engelharfen sind bereit,
spiel ‘n das Lied der Ewigkeit.

Wie das Rad des Schicksals eiert,
immerzu in Runden leiert,
sich behäbig dreht im Kreis,
oben, unten, laut und leis,

ist des Notenschlüssels Schwingung,
deiner Lebensart Bedingung.
Du musst dein Tonstück dirigieren,
Finale furioso komponieren,

und am Ende blickst du stumm –
du warst selbst das Publikum.
Klingt harmonisch mancher Ton,
bis in ferne Himmel schon,

sind doch viele falsche Töne,
überspielten manches Schöne.
Spiel meisterhaft die Partitur,
vereint mit höchsten Klängen nur.

Die Engel werden staunend lauschen,
sich an deinem Lied berauschen.
Gelebter Klang in Harmonie,
spielt deine Lebenssymphonie.

Nasser November

von Erich Kästner

„Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Straßen gehn.

Sicher werden Sie ein bisschen frieren,
und die Straßen werden trostlos sein.
Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!…
Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.

Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.

Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!“

Erich Kästner (1899-1974)