Die Sense

Krankes Kind – Christian Krogh (1852-1925)

Die Hunde schlugen an um Mitternacht,
bis über ihrem Bellen wild erschrocken
des Gutsherrn jüngstes Kind vom Schlaf erwacht,
es strich sich aus der Stirn die langen Locken.

Zitternd vor Furcht und Frost hob’s die Gardinen,
um nach dem späten Wanderer zu spähn,
doch einsam lag der Garten, mondbeschienen,
und keine Spur war auf dem Schnee zu sehn.

Die Hunde aber bellten immer noch,
und ihre Ketten klirrten. An der Hecke
duckte der Tod sich, der vorüberkroch,
damit sein Schatten nicht das Kind erschrecke.

Aus seinem weiten weißen Schafspelz stach
der Sense Stahl und blitzte aus dem Graben.
Das sah die Kleine, die verschlafen sprach:
„Da liegt ein Mond im Schnee, den möcht‘ ich haben!“

Agnes Miegel (1869-1964) – Ostpreußische Dichterin

Frühlingssonne

Bild von Gerhard G. auf Pixabay

Der Winter zieht mit Trauerflor
vorbei am Horizont.
Der Sonne Strahl bricht mild hervor.
Erwacht, der Frühling kommt!

Schneeglöckchen sind sein erster Gruß,
stehn hier und dort im Tau.
Die Kälte weicht im warmen Kuss,
vergeht im lichten Blau.

Ein leises Zwitschern in der Luft
versöhnt mit Winterhärten.
Bald treibt ein Hyazinthenduft
durch bunte Heimatgärten.

Winterwandel

Bild von Free-Photos auf Pixabay

Die Straßen, fast gefegt
von Mensch und Wind.
Die letzten Flocken
kleben am Asphalt.

Die ersten milden Lüfte
schleichen lind,
gespenstisch leer und
matschig ist es bald.

Die Menschen nehmen
sich zurück und atmen schwer.
Sie ziehen ihre Schals
zu sich heran.

Nur hier und da ein Auto…
Kriechverkehr.
Ein jeder möcht‘ nach Haus,
nicht jeder kann.

Ein greiser Alter stapft
durchs Straßenbild,
an der Vergangenheit,
da trägt er schwer.

Er folgt dem
zugeschneiten Namensschild.
Die müden Augen
sehn den Weg kaum mehr.

Wie Puderzucker
schneit’s vom Himmel nieder
und schmilzt dahin,
wenn’s unten angelangt.

Vergeht das flüchtig‘
Element zu Wasser wieder,
treibt Wachstums Kraft
durchs frühlingshafte Land.

Der Mensch ist Eis,
das Fruchtbarkeit verloren.
Ein Wandel bringt des Segens Lenz:
In andern Sphären, neu geboren,
taut auf, was Eisblumen umkränzt.

Im warmen Licht- und Blüteregen
wird aufgetan das lichte Land,
macht jeden Stein des ird‘nen Lebens
zum Himmelssegen-Lichtgewand.

Der Sonne entgegen

Hans Andersen Brendekilde (1857-1942)

Dem Dunkel entfliehen,
der Sonne entgegen.
Von luftiger Wärme
und Frühling umgeben.

Die gurrenden Tauben
im Nachbarbaum schauen,
wie lebenslang liebend
sie Nester erbauen.

In den Himmel blicken,
die Wolken zählen,
gestreichelt einnickend,
den Lieblingsplatz wählen.

Als Schmetterlingskinder
die Sonne empfangen.
Nach langem Winter
Wachstum erlangen.

Ein Schwirren und Summen
an luftigen Stellen,
ein Sammeln von Nektar
an blumigen Quellen.

Ein Traum von gestern,
das Treiben ist fort.
Nur leere Nester;
kein Brüten vor Ort.

Planierte Gärten,
versiegeltes Grün.
Oasen, die sterben,
die Menschheit mit ihnen.

Geisterschiffe

Der Untergang der Titanic – Willy Stöwer (1864-1931)

Vergessen auf dem Grund des Ozeans.
Zerbrochen, irgendwann, im Rad der Zeit.
Die Strömung wiegt das Wrack des alten Kahns;
es scheint lebendig durch sein Algenkleid.

Zig Meilen tief, auf dunklem Meeresgrunde,
liegt die Geschichte längst vergess‘ner Tage.
Es traf ein Schlag das Schiff zur Unglücksstunde,
trug alle Seelen fort in Angst und Klage.

Zur Zierde Muscheln und Korallen kränzen
den morschen Rumpf und Heck behang’ne Streben.
Wo einst in Leben Hoffnungsbilder glänzten,
erlosch das Licht für manch‘ geplantes Leben.

Nach nie erfülltem Glück manch Dasein trachtet,
das in Vergessenheit herabsinkt auf den Grund.
Mit Menschen ist so manches Schiff befrachtet;
so mancher Hilfeschrei im Sturmgebraus verstummt.

Die Geister treiben mahnend durch die Stille
und wo die Brandung schäumend Land berührt,
verlassen sie den Schein der reichen Fülle,
weil nur der Weg zu Gott ins Leben führt.

Alte Liebe

Aquarell von Sulamith Wülfing 1901-1989

Nur unsre Seele weiß,
dass wir zusammen waren,
in den von Gott erschaffnen Jahren,
als uns in fernem Land
die tiefe Liebe band,
und wir uns sehnten
nach der Einheit des Anderen.

So manches Leben, das wir durchwanderten.
Hier warst du fern,
doch tief im Herzen
blieben wir verbunden,
und funkelt in der Einsamkeit
des Alls ein Stern,
so seh‘ ich dich in
flücht’gen Traumsekunden.

Wenn du nicht wärst,
der mir mit Geisteskräften spendet,
bis dass des Aufstiegs Mühe endet.
Oh, Seliger in andrer Dimension,
so ist dein Leuchten Gott zum Lohn,
damit ich dich am Ende wiederfinde,
und ich mit dir die Ewigkeit ergründe.

Jom haScho’a

Eingangstor des KZ Auschwitz – Quelle: Wikipedia

Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day) am 27. Januar wurde im Jahr 2005 von den Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holocaust und den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau eingeführt.

Gedenktag 09.04.2021 in Israel zu Ehren der 6 Millionen Juden, die dem Holocaust zwischen 1933 und 1945 zum Opfer fielen.  https://photos.yadvashem.org/

Sie waren deutsch, wie wir, mit ganzer Seele.
Die Väter dienten noch im ersten Krieg.
Sie jubelten dem Kaiser und Befehle
befolgten sie für Vaterland und Sieg.

Sie hießen Sarah, Esther, Moses, Lot.
In deutschen Landen waren sie daheim.
Ob Währungskrise, Arbeitslosigkeit und Not,
sie trugen es wie alle, groß und klein.

Als Hindenburg die Tore weit geöffnet,
und „braune“ Schergen fluteten das Land,
da ging die erste Angst durch weise Köpfe,
denn er gab nun den Tod in Satans Hand.

Die Sonnenzeichen brannten Judenbücher.
„Nun danket alle Gott“, dreifach „Sieg Heil“!
So standen sie mit roten Fahnentüchern,
doch Bücher waren nur der erste Teil.

Bald brannten Deutschland und die Nachbarstaaten.
Perfide plante Satan seinen Krieg,
und zwischen Flagfeuern und Handgranaten,
da brannten Synagogen für den Sieg.

Ein Pesthauch wehte schließlich über alles,
was einst für deutschen Schöngeist stand.
Warschauer Getto! Durch die Straßen hallt es.
Der Schrei nach Freiheit schallte ungehört durchs Land.

Die Todesangst, sie starrt aus leeren Augen.
„Arbeit macht frei“ – welch unmenschlicher Hohn.
Ob Kranke, Alte, Kinder, Männer, Frauen,
sie alle deportiert zur Arbeit, Tod, ihr Lohn.

Für Lagerkinder, die kein Lachen kannten,
war Angst und Tod mehr als ihr täglich’ Brot.
Allein, nur Fremde, keine Anverwandten.
Das Böse färbt mit Zyklon-B den Himmel rot.

Millionen Seelen hat der Wahn genommen.
Was treibt den Menschen an, um gut zu sein?
Wenn Gutes siegt, wird niemals wiederkommen
ein großer Führer hier aus unsren Reih’n.

Langes Warten

Foto: Gisela Seidel

Nur graue Tage, Einerlei,
die Dunkelheit ist Plage.

Ein eisig Leuchten geht dabei
durch Schnee bedeckte Tage.

Wenn Winterzeit und Frost vorbei,
geht durch die Welt ein Schmunzeln.

Es glättet jeder Sonnenstrahl
die tiefen Winterrunzeln.

Noch eine sonnenferne Zeit
liegt vor uns, dann das Blühen.

Die ersten Strahlen sind nicht weit,
wenn Pflanzenwelten grünen.

Das scheinbar tote Erdenreich
erbebt in Farb‘ und Leben.

So himmlisch ist die Frühlingszeit,
Erneuerung ihr Streben.

Getautes Himmelswasser fließt
in dunkle Erdenschollen,

und mancher kleine Keim beschließt
sein wieder Wachsen Wollen.

Der farbenfrohe Sonnenschein
wärmt morgenfrische Kühle.

Bald zieht der milde Frühling ein,
deckt draußen Tisch und Stühle.

Leibbefreit

Rad des Schicksals – Tiziano Vecellio (1488-1576)

Durch deine Augen schaue ich die Erde,
durch deine Seele seh ich sie verklärt,
seitdem ich leibbefreit und unbeschwert
zu neuen Fernen dringe, die mich riefen.

Ich bin nicht tot, und du bist nicht allein;
gebunden bleibt das Band, das uns verbindet.
Und wie dein Herz in mir den Schutz, so findet
das meine seine Erdenrast in dir,

wenn es, vergangnem Leben zugewendet,
des Erdendaseins Sinn zu deuten strebt.
Und in dem Maße, als es sich erhebt,
hebt es zu neuem Fühlen auch das deine.

Durch deine Augen schaue ich die Erde –
du kannst durch meine jene Sphären sehn,
durch die wir Hand in Hand nun weitergehn,
bis wir den Ursprung allen Leuchtens finden.

<Ephides>

Gleichklang

Die Sterne, die die fernen Himmel tragen,
sie neigen sich allabendlich der Welt.
Erdachte Gott den Sinn für unsre Fragen,
als er die Zeit erschuf, die steigt und fällt?

Was er erdacht, war Gleichklang, wie ein Reim,
der seine Ähnlichkeiten wie im Lied verbindet.
Zerstörend war des Lebens bitteres Sein,
weil niemand mehr nun Sinn und Wahrheit findet.

Ein Leben lang nach süßem Gleichklang sehnen,
wo doch zum Eigennutz vergeht die Welt.
Erst, wenn Er, Licht erfüllt, in trauten Tönen,
den Klang bereitwillig an deine Seite stellt,

dann schwingst du mit den tausend Harmonien,
fühlst ihren Sinn so schöpfungsnah verwoben.
Und Seine Größe ahnend, gehst du auf die Knie,
und weißt, es trägt ein Reim dich einst nach oben.