Winterschlaf

Eugen Bracht (1842-1921)

Es treibt des Winters kalter Hauch
den Wind über die Felder,
durch alle Wiesen, jeden Strauch;
der Schnee bedeckt die Wälder.
 
Es ruht die Seele der Natur
vom langen Sommerreigen;
gesenkter Puls der Zeit
 will uns zur Ruhe treiben.
 
Was Außen kalt, ist Innen warm,
so wie das Frühlingskeimen,
Väterchen Frost streckt seinen Arm,
deckt zu, was im Geheimen.

Der Seele Kern erinnert sich,
wie Sonnenstrahlen glänzen,
wird sich auf Frühlingstage freu’n,
den Neuanfang bekränzen.


Namenloses Sehnen

Im Geheimen – Sulamith Wülfing 1901-1989

Du stehst im Dunkeln –
unerkannt,
verborgen dein Gesicht.
Nie wird dein Name mir genannt,
und wie ein Schatten tauchst du aus dem Licht.
 
Wer bist du, unbekanntes Wesen,
nach dem mein Herz so sehnend dürstet?
Wartest du schlummernd,
bis die Zeit gereift?
Siehst du nicht, wie sie gnadenlos ergreift
mein klagend Leben?
So wird sich bange Sehnsucht
in die Stunden weben
und mich verzweifeln lassen
an der Seeleneinsamkeit.
 
Ich bitte dich, oh Zeit,
nimm mir die finst’ren Qualen
und zeig im Licht, was du mir vorgesponnen!
 
Wird neue Liebe mir den Ausgleich zahlen,
für das Vertrauen, das sie einst genommen?

Weiterleben

Julius Porcellis 1610-1645 – Sonnenlicht bei stürmischer See

Das Lebensende ist letztendlich
unabwendlich;
wir zögern sie hinaus, die letzte Stunde,
kämpfen noch um die dunkelste Sekunde,
weil wir mit letztem Atemzug an der Materie kleben;
erlöste Masse –
wie vergänglich war dein Streben,
nun gilt dein geistig Weiterleben
wohl einer andren Klasse.

Verlorenes Paradies

Es geht ein Hoffen um die Welt,
 ein altes Sehnen,
 
ein Streben, frei vom Drang nach Geld,
befreit von Tränen,
 
es ist die Suche nach dem Glück,
für ewig gar,
 
bringt uns das Paradies zurück,
wie’s damals war,
 
in dem nur dornenlose Rosen stehen
und alle Lebensräder rückwärts drehen;
 
in dem es keine Sünde gibt,
nur einen Gott, der uns unendlich liebt;

befreit von Priestern und Gelehrten,
die Gottes Wort ins Weltliche verkehrten.

Nur Liebe ist dann unsre Religion;
vorbei die Konkurrenz vor Gottes Thron.

Schicksale

William Adolphe Bouguereau 1825 – 1905

Ich begleitete im Jahre 2003 eine vom Tod ihres 15 jährigen Sohnes psychisch sehr angeschlagene Frau nach Kassel, damit sie dort an einem von Psychologinnen begleiteten Familienstellen nach Bernd Hellinger teilnehmen konnte. Dort wurden 15 Menschen behandelt. Ich wollte nur Begleitung sein und mich dort nicht aufstellen lassen. Letztendlich überredete man mich doch. Ich übernahm die Rolle von Juden, die zur Zeit des Holocaust im KZ umgebracht worden sind.

Damals habe ich es nicht für möglich gehalten, dass man in die Rolle eines anderen Menschen schlüpfen kann, und dessen Empfindungen wahrnimmt.

Der Mann, der sich behandeln ließ, bekam regelmäßig derartige Wutausbrüche, dass er zu Hause alle Möbel kurz und klein schlug. Er war ca. 40 Jahre alt. Er belastete sich unbewusst mit der Schuld seines Vaters, der im Krieg die Juden mit seinem LKW zum Bahnhof zur Deportation gebracht hatte und fragte sich, wieso er lebte und diese Menschen nicht. Das kam erst im Laufe der Therapie zu Tage.

Im Laufe des Familienstellens kam er dann auf mich zu, berührte mich an der Schulter und entschuldigte sich für das Tun seines Vaters. In diesem Moment habe ich zig Emotionen gleichzeitig gespürt: Wut, Angst und Verzweiflung. Es folgte eine nicht enden wollende Trauer, die sich in Weinkrämpfen bei mir bemerkbar machte. So sehr die Therapeutinnen auch versuchten, mich zu beruhigen, es gelang ihnen nicht. Die Sitzung wurde abgebrochen, aber mein Weinen hörte erst auf, als der Patient mehrfach um Verzeihung bat. Dann erst konnte ich damals die Rolle verlassen, doch sie verfolgt mich heute noch. Damals schrieb ich dieses Gedicht:

Wenn wir zusammensinken durch des Lebens Last,
den Himmel und die Sonne nicht mehr finden,
weil dunkler Schatten unser Herz erfasst
und unsre Seele schreit aus Höllengründen.
 
Wenn unser Kreuz zu groß wird, das wir tragen,
wir nur noch haltlos, schwankend weiterziehn,
bis wir in einsam dunklen Tagen
in keiner unserer Taten Zukunft sehn.
 
Wenn die Vergangenheit uns hält mit Klammerhänden,
belastet durch das Schicksal unsrer Ahnen;
wenn wir verzweifelt uns an die Verstorbnen wenden,
dann wird der Himmel uns zur Vorsicht mahnen.
 
Die Toten sind befreit von allen Bürden,
sie hatten ihre eigne Lebenslast zu tragen.
Ob sie die unsre helfend mindern würden,
das sollte man, dies würdigend, erfragen.
 
Zur Hilfe wird man viele gute Seelen finden,
aber auch solche, die noch sehr am Erdendasein haften;
die sich bei Aufruf fest an deine Aura binden,
dich dort verbleibend, negativ umnachten.
 
Drum lass im Dunkeln, was im Dunkel war verborgen,
habe Respekt vor Allem was einmal gewesen,
denn eine andere Macht wird für Beleuchtung sorgen,
und finstre Seelenflecken der Familie lösen.

Fern von dir

Maximilian Pirner 1854-1924

Du bleibst die größte Liebe meines Lebens,
verblasst ist nur der öde, äußre Schein;
er trug den Glanz des Wollens, nicht des Gebens;
die falschen Hoffnungsschimmer trübten ein.
 
Du warst die Andacht, ich der Wahrheitsfinder,
der sich im Nebel stets im Kreise dreht.
Um dich der Hauch der Reinheit; Seelenbinder
warst du, den ich mir einst von Gott erfleht.
 
Die Trauer ist der dunkle Dieb des Lichtes,
sie nahm mein Innen – ich versink in ihr.
Tief auf dem Todesgrund in mir gebricht es.
Was wärmend dich und mich einst band, gefriert.
 
Ich schüttle ab die schweren Kälteschauer,
doch greift die kalte Hand erneut nach mir.
Sie reißt mich mit, ich treib in hoffnungsloser, grauer
Vergessenheit. Nichts führt zurück zu dir.
 
Wie soll ich deine Augen je vergessen?
Wenn ich hineinsah, fühlte ich das Glück!
Die Sehnsucht hat mein krankes Herz zerfressen.
Kein weher Wunschgedanke bringt dich je zurück.
 
Auch, wenn ich des Vermissens stille Qualen
noch immer leide…mehr, mit jedem Tag,
muss ich auf schwarzer Leinwand fremde Bilder malen,
weil ich das Bild von dir nie wieder denken mag.
 
Wenn ich es denke, bricht mir dein „nicht Wollen“
mein Herz in stiller Seelenqual. Du fehlst!
Das neue Jahr begann mit Donnergrollen.
Wird es mir Tage bringen, die du nicht beseelst?!
 
Mein Alles warst du – ich war nur die Schwere,
die Last, die auf dir lag und die dich bitter machte.
Du wolltest Ruhe, tauschtest Liebe ein, in Leere.
Wortlos gingst du! Ob es dir Frieden brachte?
 
Ich gab die Hoffnung auf – sie starb und doch…
sitz’ manchmal ich am Fenster, schau hinaus.
Gleich kommt er um die Ecke, denk‘ ich noch,
dann seh‘ ich dich im Geiste: meine Maus.
 
Kurz streichle in Gedanken ich dein Haar,
fühl dein Gesicht für einen Augenblick.
Doch schon beim nächsten Wimpernschlag ist klar:
Es war nur Illusion…und doch mein ganzes Glück.

Wertlos

Caspar David Friedrich 1774-1840

Wertlos sind heut manche Sachen,
die mir einmal wichtig waren.
Und nach vielen, langen Jahren
kann ich nun darüber lachen.

Menschen, Werte, Liebe, Leiden,
sie vergeh’n im Strom der Zeit.
Hat sie uns vom Trug befreit,
bringt sie lächelnd späte Freuden.

Gerade noch gestreichelt, später
ist’s die Andre. Wie verlogen
wird so manches Herz betrogen!
Der Geliebte wird zum Täter.

Was uns glänzend blendet, stumpft,
Liebe ist ein Wort – nicht mehr!
Hier auf Erden fehlt uns sehr,
was in höchsten Himmeln trumpft.

Es ist gut, dass manches endet!
Liebe trübt so oft die Sicht,
und bei hellem Tageslicht
wird der schöne Schein gewendet.

Wir verlieren unsre Träume,
deren Wahrheit wir erwarten,
denn im großen Liebesgarten
wachsen viel zu hohe Bäume.

Vergangenheit

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist david-caspar-friedrich-frau-vor-sonne.jpg
Caspar David Friedrich 1774-1840

Gewesen ist, was längst vorbei,
doch liegt Vergangnes in den Zellen,
schäumt die Erinnerung dabei
sich manchmal auf zu Sturmeswellen.
 
Hast du verdrängt die alten Lasten,
so stecken sie doch tief in dir;
du willst zu neuen Dingen hasten,
blockierst dir selbst die offne Tür.
 
Will die Erfahrung dunkel trüben
die wahre Sicht, die gar nicht schlecht,
lässt dich dein Zweifeln unterliegen –
wird der Vergangenheit gerecht.
 
Die Zeit hüllt den Vergessensschleier
um alle Dinge, die geschehn,
denk‘ an den Morgen, werde freier,
dann wirst du bald die Sonne sehn.

Kind sein

Zug aus Streichholzschachteln. Quelle: Pinterest

Schon wieder Tag!
Die kurze Nacht hängt noch in meinen Knochen.

Kind möcht‘ ich sein,
das freudig aus dem Bett gekrochen,
das voller Neugier auf die Mutter blickte,
ein süßes Brötchen in den Händchen drückte.

Das draußen eine Wunderwelt beschaute,
aus Streichholzdosen bunte Züge baute.
Mit ausgedienten Schachteln spielte,
darin das Fallobst aus dem Garten füllte.

Das jedes Kärtchen, jedes Blatt verwahrte,
sich in die Hüte des Rhabarberblatts vernarrte,
und Kirschen, als die schönsten Ohrgehänge,
im Sommer zeigte in der Menge.

Kind möcht‘ ich sein,
mit Baumel-Beinchen auf der Bank,
Rhabarberstangen in der kleinen Hand,
genüsslich in den Zucker tauchen;
zufrieden in den Himmel schauen.

Die ‚alte Schachtel‘ bin ich selbst geworden.
Schon wieder Tag! Es kommt ein neuer Morgen.
Ich sehe traurig ein, nach all den Jahren:
Mein Zug ist doch längst abgefahren.

Haiku

Gedanken-Bilder,
eingesperrt in Rahmen,
der, viel zu klein,
nur wenig zeigen mag.

Ich mag sie nicht,
die eingegrenzten Armen,
fixiert, gefühllos,
wohl dosierte Tags*.

Sind wie ein Bonsai,
ein gestutzter Riese,
bezwungne Kraft,
von Menschenhand
dressiert.

Sind wie das Ändern
einer göttlichen Devise,
nur an der Zahl der
Silben interessiert.

*Tag=HTML – Markup