Regentag

Hugo Wilhelm Kauffmann (1844-1915)

Ein Sommertag erwacht aus Träumen,
vertreibt die kühlen, dunklen Stunden,
und durch die dicht belaubten Bäume,
ersehnt man sich ein goldenes Funkeln.

Dem Wind im Lied der Blätter lauschen,
im Auf und Ab, Wiegen und Schwingen,
flatterndes Kleid mit Flüstern und Rauschen,
bringen dem Tag ein melodisches Singen.

Der Sonnenschein zeigt gemilderten Glanz,
dunkle Wolken durchstreifen den Himmel,
manchmal funkelt ihr Strahl mit gewisser Distanz,
ihre Strahlkraft wird sie nicht bringen.

Bis zum Abend entladen sich Tropfen zuhauf,
prasseln gegen die Fensterscheiben.
Der Himmel macht seine Schleusen auf,
wird des Sommers Wärme vertreiben.

Kindheitstrauma

Felix Schlesinger (1833-1910)
Ich überflog in meinen Träumen
die dichten Hagebutten-Hecken,
saß unter Kirsch- und Apfelbäumen,
an vielen lieb gewordenen Ecken.

Bemooste Dächer unsres Hauses -
uralt die Schindeln auf den Sparren;
wo Spatzen unterm Giebel hausten,
hör‘ noch die Dielenböden knarren.

Klein war ich, nahm noch alles hin,
was vorgelebt mein Dasein prägte.
Nichts Übles kam mir in den Sinn,
wenn niemand die Kaninchen pflegte.

Saß auf dem grauen Leiterwagen,
den Vater zog bis in den Bruch,
wir pflückten Gras und Löwenzahn
bis sie geschlachtet, fett genug.

Saßen in viel zu engen Ställen,
auf ihrem Kot mit feuchten Füßen,
bis Vater sie nach langem Quälen
mit ‚Fangschlag‘ hat erlösen müssen.

Ein Trauma ist es mir geworden,
als „Hansi“ an den Pfosten hing,
ließ meiner Kindheit Liebe morden,
bis mir der Appetit verging.

Jasmin

Bild von Henryk Niestrój auf Pixabay
Des Lenzes blaues Band entschwebt,
das Jahr teilt sich, man riecht des Juni’s Süße;
der Lindenduft scheint übers Land geweht,
Flora ersehnt sich durstig Regengüsse.

Die Sterne des Jasmins sind schon verblüht -
in weiß getaucht war mir der Kindheit Garten,
wenn jeder Stern geliebte Düfte sprühte,
geschlossenen Auges konnt‘ ich ihn erraten.

Aus weiten Fernen irrt zu mir der Duft –
längst abgeblüht, aus der Vergangenheit;
hör‘, wie mich jeder Strauch des Weges ruft -
in allen Blütensternen weint mit mir die Zeit.

Gesang des Meeres

Der heilige Gesang der Wellen,
die kraftvoll über Strände streichen,
und jeder Schlag ist, wie ein Weichen,
zurück in die bizarre Welt des Schwebens,
wo sich Korallenriffe breiten,
Inseln des Lebens.

Mondlicht- und sonnengleich;
erglüht im Feenreich die zarte Märchenwelt,
millionenfach geboren, um zu leben und es weitergeben,
in Farben eingehüllt, die nicht von dieser Welt,
ein Wellenschlagen, überirdisch schön,
ein Kommen und ein Gehen.

Lautlos vom Strom getragen,
wie an den Schöpfungstagen, das Leuchten erster Sterne.
Ein Zauber zarter Farben, irisierend, wie Reklamen,
im abgedämpften Licht, am Rande der Gezeiten,
wie schwereloses Gleiten.

Pulsierend ist die Buntheit,
wenn sie leuchtet in der Tiefsee Fülle,
ist sie ihr eignes Licht;
silbrig prunkt es an mancher Schuppen Hülle,
treibt mit den Schwärmen farbenfrohen Tanz,
ein Auf und Nieder, fern vom Sonnenglanz.

Gestreut aus Himmeln,
wie einst im Strome der Gezeiten gleiten,
als abgedämpftes Licht im Innen Seelen leuchten sehn,
sich und die Vielfalt dieser Welt verstehen,
wo Zauber aller Farben,
sich offenbaren.

Goldene Regel

Vladimir Kush – Bildauszug: Birth of Love
Goldene Regel*

Aus dem Blut der Andren Kraft zu ziehen,
ist der Lauf der Welt: „Friss oder stirb!“
Kreuze wurden dem ‚der fraß‘ verliehen,
der das Leben anderer verdirbt.

Christlich sein - die „Goldene Regel“ übe! -
Aus den Schulen hat man sie verbannt.
Wichtigstes Gebot der Nächstenliebe -
kennt durch weise Lehrer jedes Land.

Ist ein Menschenrecht und Gottes Wille,
Gebot und Lehrsatz, der für alle gleich;
dass man ihn verlernt, ist Menschenwille -
Rache, Desinteresse folgenreich.


*“Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“

Einfaches Lebensglück

Unser Zeitgeist ist hochtechnisiert. Das hat eine gute und eine weniger gute Seite. Es gilt Althergebrachtes zu erhalten und zu bewahren.

Maschinen übernehmen die Arbeit aus Jahrhunderten und der Mensch hat sich in eine große Abhängigkeit begeben. Die nächsten Generationen verlieren nicht nur altes Wissen, sondern auch alte Fähigkeiten. Würde die Technik ausfallen, ginge alles verloren und die Menschheit müsste bei Null beginnen.

„Alexa“ kann nichts mehr sagen, wenn man ihr den Stecker zieht.

Der Mond

Bild von Susan Cipriano auf Pixabay

Der Monde fahlen Glanz hab ich genossen,
wenn sie vom dunklen Firmament,
wie Silberflüsse durch die Fenster flossen,
besonntes Hell, das Schlaf vom Wachsein trennt.

Das Mondlicht zeichnet Himmelsblässe.
Wie es Konturen auf den Häusern malt!
Frau Luna ist die älteste Mätresse,
die Existenz des Mondes längst bezahlt.

Es scheint, er hat sich abgewandt vom Leben,
damit die Erde fruchtbar wird durch ihn,
denn ohne ihn, würd‘ es kein Leben geben,
und alle Jahreszeiten wär’n dahin.

Er malt das Bild des fernen Widerscheines,
die Sonne drosselt durch ihn ihre Kraft.
Einmal im Monat zeigt er sein geheimes
und fahles Leuchten in der Nacht.

Er ist Begleiter, Lenker der Gezeiten,
und wenn die Achse unsrer Erde wankt,
ist er die Stütze; alle Klimabreiten
und deren Ausgleich sind in seiner Hand.

Lebensfaden

Quelle: Pinterest
An einem goldnen Faden hängt das Leben,
der Mensch webt schicksalhafte Bilder auf den Grund.
Um die Stationen klar hervorzuheben,
sind sie oft dunkel, farblos, manchmal bunt.

Aus vielen Fäden, die verknotet, wirren,
entstand ein finsteres Gespinst aus Schuld;
durch Leid und Tragik, fehlerhaftem Irren,
riss manchem Lebensfaden die Geduld.

Beim Auseinanderwirren, müßig Trennen,
der vielen Fäden, die das Lebenstuch bedecken,
ist jener goldene Faden zu erkennen,
der sich in all dem Wust der Zeit versteckte.

Führt Mensch ans Ziel der göttlichen Bestimmung,
hineingewoben, wie im goldenen Vlies,
bringt er auf dunklem Grund Erkenntnis und Besinnung,
gesponnen für des Geistes Paradies.

Millionenfach

Quelle: Pinterest
Durchtränkt vom Blut millionenfacher Leben,
tief in den Gründen anfänglichen Werdens;
im Daseinskampf des triebbedingten Strebens
der Ungetüme, die erlegt im Massensterben.

Ur-Wälder, undurchdringlich, wild und mächtig,
mit alten Bäumen, unermesslich groß;
die Riesenpflanzen, Schachtelhalme, prächtig,
ein Dschungel, der die ganze Welt umschloss.

Es folgten nach dem Einschlag von Kometen,
nachdem Vulkangestein begrub das Land,
die Asche, die wie Schnee vom Himmel regnet,
die Luft vergiftet, Sonnenschein verbannt.

Millionen Jahre, bis der Mensch ‚erwachte‘,
als neues Ungetüm der neuen Welt;
der sich das Erdenrund zu eigen machte,
der es bebaute, herrschte und erfand das Geld.

Ein neuer Daseinskampf hat längst begonnen,
Mensch gegen Tier, Mann gegen Mann;
das triebbedingte Streben hat gewonnen,
weil Mensch das alte Tun nicht lassen kann.

Schon wieder tränkt das Blut die durst’ge Erde -
ein Herrscher kann nicht herrschen ohne Krieg.
Die Welt der Waffen lässt die Menschheit sterben.
Die neue Eiszeit kommt – ganz ohne Sieg!

Der Juni

von Erich Kästner
Quelle: Pinterest
Die Zeit geht mit der Zeit: Sie fliegt.
Kaum schrieb man sechs Gedichte,
ist schon ein halbes Jahr herum
und fühlt sich als Geschichte.

Die Kirschen werden reif und rot,
die süßen wie die sauern.
Auf zartes Laub fällt Staub, fällt Staub,
so sehr wir es bedauern.

Aus Gras wird Heu. Aus Obst Kompott.
Aus Herrlichkeit wird Nahrung.
Aus manchem, was das Herz erfuhr,
wird, bestenfalls, Erfahrung.

Es wird und war. Es war und wird.
Aus Kälbern werden Rinder
Und weil's zur Jahreszeit gehört,
aus Küssen kleine Kinder.

Die Vögel füttern ihre Brut
und singen nur noch selten.
So ist's bestellt in unsrer Welt,
der besten aller Welten.

Spät tritt der Abend in den Park,
mit Sternen auf der Weste.
Glühwürmchen ziehn mit Lampions
zu einem Gartenfeste.

Dort wird getrunken und gelacht.
In vorgerückter Stunde
tanzt dann der Abend mit der Nacht
die kurze Ehrenrunde.

Am letzten Tische streiten sich
ein Heide und ein Frommer,
ob's Wunder oder keine gibt.
Und nächstens wird es Sommer.
Erich Kästner (1899-1974)