Ewiger Geist

Oreste Pizio (1879-1938)
Wird man das Leben je verstehen?
Löst Wissenschaft die alten Fragen?
Wird die Chemie, die Medizin uns sagen,
warum wir leben und vergehen?

Die kleinsten Teilchen harrten still,
sie spalten, das ist uns gelungen,
wir haben die Natur gezwungen,
zu töten, wo sie leben will. 

Das Leben ist geheimnisvoll,
die Antwort sagt uns kein Labor.
Lebendig steht der Geist davor,
der in uns Schöpfung ist und Soll. 

Ewig und geistig ist das Ziel,
Materie, ein flücht‘ger Wahn;
Schöpfung ist Geist - von Anfang an,
die durch die Körper dienen will.

Oktober

von Erich Kästner
Quelle: Pinterest
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Was vorüber schien, beginnt.
Chrysanthemen blühn und frieren.
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Und du folgst ihr wie ein Kind.

Geh nur weiter, bleib nicht stehen.
Kehr nicht um, als sei's zuviel.
Bis ans Ende musst du gehen,
hadre nicht in den Alleen.
Ist der Weg denn schuld am Ziel?

Geh nicht wie mit fremden Füßen
und als hättst du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Lass den Herbst nicht dafür büßen,
dass es Winter werden wird.

Auf den Wegen, in den Wiesen
leuchten, wie auf grünen Fliesen,
Bäume bunt und blumenschön.
Sind's Buketts für sanfte Riesen?
Geh nur weiter, bleib nicht stehn.

Blätter tanzen sterbensheiter
ihre letzten Menuetts.
Folge folgsam dem Begleiter.
Bleib nicht stehen. Geh nur weiter,
denn das Jahr ist dein Gesetz.

Nebel zaubern in der Lichtung
eine Welt des Ungefährs.
Raum wird Traum. Und Rausch wird Dichtung.
Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung.
„Stirb und werde!“ nannte er's.
Erich Kästner (1899-1974)

Mann der Stunde

Nikolai Vasilyevich Nevrev (1830-1904) – Iwan der Schreckliche und sein Hofstaat verhöhnen einen ehemaligen Verbündeten, bevor sie seine brutale Hinrichtung anordnen.
Erdgebunden, bist du Mann der Tat,
erdgebunden wirst du sein im Tod.
Groß dein Ego, böse dein Verrat!
Brachtest alle Welt in herbe Not.

Lehrte dich das Töten, hinterrücks,
ein Sadist, der Liebe abgewandt,
oder hat der Hinterhof ein Stück
Heimat in dein kaltes Herz gebrannt? 

Angeführt hast du am Gängelband 
schon in früh’ster Jugend deinen Clan. 
In den Abgrund führst du heut dein Land,
machtbesessen ist dein Ego-Wahn.

Schau, der Abgrund unter dir ist tief!
Schickst Legionen in den frühen Tod.
Welcher Dämon ist es, der dich rief?
Empathielos ist kein echter Patriot!

Wirst an deinem Handeln scheitern,
denn ein Staat des Volkes stürzt Tyrannen.
Besitz und Macht wird dir entgleiten.
Und danach? Wie kann man das erahnen?! 

Nebel

überzieht das Land mit feuchten Schleiern,
verbirgt den Weg, der vor uns liegt.

Silhouetten lassen die Ferne erahnen,
Scherenschnitt-Bäume,
Zweige, so zart und gebrechlich,
doch stark im Wind.

Gnädiger Weichzeichner der Natur,
versteckst Arges unter grauen Tüchern,
verlangsamst unsere sicheren Schritte,
schaffst unscharfe Blicke
durch verminderte Transparenz.

Unwegsamkeit des Lebens
im gefilterten Licht -
Erinnerungen an den Herbst.

Ich wünsche allen Lesern einen schönen Sonntag !

Jungfräulich

Neu, unbenutzt – ein leeres Blatt,
wie eine Jungfrau, unberührt.
Ein Schreiber, von Ideen satt,
fühlt sich vom edlen Bild verführt. 

Da liegt es, inhaltslos und rein,
so unbenutzt, der Lockung voll;
wie es ihn anreizt, ‚ruft‘: „Sei mein!“;
das Schreiben wird für ihn ein Soll. 

Was in ihm ist, schreibt er hinaus,
Gedanken voll ist das Papier,
so leert er seine Seele aus,
das, was er fühlt, er schreibt es hier. 

Ideen, erfunden, ausdrucksstark,
sind doch nur Bilder, die er dachte, 
die später dann, an Deutung schwach,
als große Religion erwachten.

Wie auf Wolken

Quelle: Pinterest
Wenn sich auch Wolken vor die Sonne schieben,
durchdringend ist des Lichtes Kraft,
die Nebel werden fortgetrieben,
es bleibt, was ewig Leuchten schafft.

Steig auf zum sonnbeglänzten Meer,
lass alle Nebelwolken ziehen,
dann wird dein Blick, von oben her,
die Erde ungetrübt besehen. 

Gib deiner Seele weißen Glanz,
lass sie mit klarem Weitblick sehn,
schenk dich dem hohen Lichte ganz,
dann wirst du wie auf Wolken gehn.

Herbst-Impressionen

Quelle: Pinterest
Der Himmel ist bedeckt 
und Regen rinnt,
der Boden nass befleckt
bevor der Guss beginnt,
und an den Fenstern
nässen Tropfen Scheiben.

Wie feuchte Herbstgespenster
Spiele treiben!

Mit Wolkendecken ist die Welt verhangen,
das Leben trägt ein tristes Kleid.
Der Sommer ist schon lang vergangen,
und in den Zweigen ruht die Zeit. 

Energie

Bild von Hans auf Pixabay
Milliarden Lichter gehen um die Welt,
es sind Gedanken, die wie Blitze strahlen.
Kein Wissenschaftler hat sie je gezählt,
sie sind wie Energie, in unbegrenzten Zahlen.

Jeder Gedanke, farblich eingebettet,
schwingt in des Denkers Eigenartigkeit;
wie eine Flamme, die nuancenhaft verkettet,
in vielen Farben strahlt sein geistig‘ Kleid. 

Geheimnisvolle Energie der Kolorite,
nur für geschulte Augen deutungsvoll.
All die Gedanken, Wünsche, Lebensschritte,
sind Energie, von Farben übervoll.

Finstre Gedanken müssen sich erhellen,
nur Wissen schafft hier neue Horizonte;
die Seelen löschen ihre schwarzen Stellen
durch Liebe, wie vom Glück Besonnte. 

Das höhere Selbst Gottes

Quelle: Pinterest


Kann man sich daran gewöhnen, sein Kind in ständiger Gefahr zu wissen?

Ich bin kein Kriegskind, versuche mich jedoch in die Zeit hineinzuversetzen. Man war stolz darauf, wenn die Söhne das Vaterland verteidigten und in den Krieg zogen. Als Mutter blieb man besorgt zurück. Als Soldaten wurden sie an die Front abkommandiert, in den letzten Kriegsjahren waren sie teilweise nur 15 Jahre alt.

Wie konnte das möglich sein, dass Mütter ihre Kinder, ihre gesunden, kräftigen, jungen Söhne, in diesen Massenmord schicken mussten? Mit jedem neuen Krieg ist die Menschheit wieder einmal so tief gesunken, dass sie einander mit grausamen Mitteln tötet. Waren nicht gerade diese gesunden, jungen Söhne dazu berufen, eine neue und starke Generation zu zeugen? Diese werden zuerst getötet, weil nur sie zum Soldaten tauglich sind.

Die schwachen, kranken Männer bleiben daheim, zeugen ebensolche Kinder, während die gesunden jungen Männer im Kampf ausgerottet werden. Das ist der schnellste Weg zur Degeneration der ganzen menschlichen Rasse. Doch anscheinend ist die Menschheit schon so tief gesunken, dass sie diese Wahrheit nicht kennt. In ihrem blinden Hass gegeneinander und aus Angst voreinander tötet sie die besten Generationen.

So sehen es meine menschlichen Augen. Doch sehe ich tiefer in mich hinein, sieht meine Wirklichkeit etwas anderes. Nichts kann ohne Gottes Willen geschehen, und was immer auch geschieht, ist gut, weil es in Seinem Willen geschieht. Alles, was geschieht, ist nur ein Streben nach dem verlorenen Gleichgewicht, nach dem verlorenen Paradies!

Dies gibt mir Mut, weiterzuleben und meine täglichen Pflichten zu erfüllen, obwohl ich schwer daran trage, Millionen andere in dieser Schlachterei aufeinander schießen zu sehen.

So schwer es auch fällt: Niemand darf sich an eine andere Person binden! Es schmerzt, meinen Sohn loszulassen, den ich unter meinem Herzen getragen hatte, damit er wiedergeboren werden konnte. Ich denke an seine körperliche Erscheinung, aber lieben tue ich ihn in Gott, als Offenbarung des unpersönlichen Göttlichen, als höheres Selbst.

Das Universum ist die Offenbarung des einen, einzigen Gottes. Habe ich meinen Sohn verloren, nur weil ich seine Person nicht mehr sehen kann? Weil er Fleisch aus meinem Fleisch war und sein Blut aus meinem Blut? Ich darf mich nicht mit Fleisch und Blut identifizieren. Ich bin viel mehr und er ist es auch! Bei voller Bewusstwerdung bin ich mit dem ganzen Weltall identisch und kann nichts und niemanden verlieren.

Es darf keinen Unterschied machen, ob ich mein Kind oder einen fremden anderen Menschen verliere, denn dasselbe Selbst Gottes wechselt jedes Mal einen seiner vielen Körper. Ich muss den Verlust meines Fleisches und Blutes, was mich jetzt so entsetzlich schmerzt, vollkommen besiegen!

Alles vergeht, nur die wahre Liebe vergeht nicht! Wir können einander nicht verlieren und werden uns wiederfinden. Wo immer wir auch sind, die Liebe wird uns immer zueinander führen. Wenn zwei Menschen einander lieben, bedeutet das, dass sie die Einheit des Selbst in ihrem Bewusstsein erleben. Sie fühlen, dass sie zueinander gehören, weil sie im Selbst eins sind.

Mitten im Leben

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Wandle auf ausgetretenen Pfaden,
tief sind die Spuren eingebracht,
doch nach der Sonne blassem Tagen,
erfolgte mir kein Tag, nur Nacht.

Es ist der Monat, der mir grauste,
webte zu oft des Weggangs Muster.
Der Tod, mitten im Leben haust er,
so unbarmherzig, kalt und duster.

Wie eine Kerze angebrannt,
löst sich das Lebenswachs im Licht.
Nach kurzem Feuer dann verschwand
der Geist des Lebens und es bricht.

Es bleibt ein körperloses Schweben,
ein Dasein, unbeachtet still.
Verborgen sind im Geistesleben,
die um uns sind, so Gott es will.