Wenn die trübe Zeit vergangen,
die vor unseren Türen liegt,
Wind und Regen sich gefangen,
der kalt durch die Länder trieb;
wenn die Totenglocken schweigen,
die von Gotteshäusern klingen,
Kirchenbänke leere Stätten,
menschenleer und ohne Singen;
wenn nur Leere füllt die Öde,
sich die Stolpersteine heben,
wird man fallen in den Straßen,
denn ein alter Geist will leben.
Er beschwert das Tun der Guten -
die Erinnerung wird bleiben;
wird zur Last – als müder Schuldner
übt man, Gläubiger zu meiden.
Tote Augen der Verlorenen
seh ich glühn in finstrer Stunde;
fühle ihre Angst des Sterbens,
schreckensbleich in ihrer Runde.
Zeitgeist färbt die grauen Haare,
blutrot, in des Mühsals Tücken;
eh die Rose blüht im Garten,
muss man manches Unkraut pflücken.
Zum Geburtstag von Friedrich von Schiller am 10.11.1759: Dies ist eines meiner Lieblingsgedichte. Die Wahrheit liegt auf dem Weg des Lebens, der ein fortwährendes Lernen ist. Nur dieses Lernen macht den Menschen erst empfänglich für die Wahrheit. Dazu zählt auch die Selbsterkenntnis. Das Gedicht zeigt, dass ein vorschnelles, verbotenes Handeln zu einem kummervollen Leben führen kann.
Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst nach Sais in Ägypten trieb, der Priester geheime Weisheit zu erlernen, hatte schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt, stets riß ihn seine Forschbegierde weiter, und kaum besänftigte der Hierophant den ungeduldig Strebenden. »Was hab ich, wenn ich nicht alles habe?« sprach der Jüngling.
»Gibts etwa hier ein Weniger und Mehr? Ist deine Wahrheit wie der Sinne Glück nur eine Summe, die man größer, kleiner besitzen kann und immer doch besitzt? Ist sie nicht eine einzge, ungeteilte? Nimm einen Ton aus einer Harmonie, nimm eine Farbe aus dem Regenbogen, und alles, was dir bleibt, ist nichts, solang das schöne All der Töne fehlt und Farben.«
Indem sie einst so sprachen, standen sie in einer einsamen Rotonde still, wo ein verschleiert Bild von Riesengröße dem Jüngling in die Augen fiel. Verwundert blickt er den Führer an und spricht: »Was ists, das hinter diesem Schleier sich verbirgt?« »Die Wahrheit«, ist die Antwort. – »Wie?« ruft jener, »Nach Wahrheit streb ich ja allein, und diese gerade ist es, die man mir verhüllt?«
»Das mache mit der Gottheit aus«, versetzt der Hierophant. »Kein Sterblicher, sagt sie, rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Und wer mit ungeweihter, schuldger Hand den heiligen, verbotnen früher hebt, der, spricht die Gottheit« – »Nun?« – »Der sieht die Wahrheit.«
»Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst, Du hättest also niemals ihn gehoben?« »Ich? Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu versucht.« – »Das fass ich nicht. Wenn von der Wahrheit nur diese dünne Scheidewand mich trennte –« »Und ein Gesetz«, fällt ihm sein Führer ein. »Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst, Ist dieser dünne Flor – für deine Hand zwar leicht, doch zentnerschwer für dein Gewissen.«
Der Jüngling ging gedankenvoll nach Hause. Ihm raubt des Wissens brennende Begier den Schlaf, er wälzt sich glühend auf dem Lager und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel führt unfreiwillig ihn der scheue Tritt. Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen, Und mitten in das Innre der Rotonde trägt ein beherzter Sprung den Wagenden.
Hier steht er nun, und grauenvoll umfängt den Einsamen die lebenlose Stille, die nur der Tritte hohler Widerhall In den geheimen Grüften unterbricht. Von oben durch der Kuppel Öffnung wirft Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, und furchtbar wie ein gegenwärtger Gott erglänzt durch des Gewölbes Finsternisse In ihrem langen Schleier die Gestalt.
Er tritt hinan mit ungewissem Schritt, Schon will die freche Hand das Heilige berühren, Da zuckt es heiß und kühl durch sein Gebein und stößt ihn weg mit unsichtbarem Arme. Unglücklicher, was willst du tun? So ruft in seinem Innern eine treue Stimme. Versuchen den Allheiligen willst du? Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund, rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu: Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen? »Sei hinter ihm, was will! Ich heb ihn auf.« (Er rufts mit lauter Stimm.) »Ich will sie schauen.«
Schauen! Gellt ihm ein langes Echo spottend nach. Er sprichts und hat den Schleier aufgedeckt. Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier? Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich, so fanden ihn am andern Tag die Priester am Fußgestell der Isis ausgestreckt. Was er allda gesehen und erfahren, Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig war seines Lebens Heiterkeit dahin, ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
»Weh dem«, dies war sein warnungsvolles Wort, wenn ungestüme Frager in ihn drangen, »Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.«
Erklärung:
Sais: Eine antike Stadt in Ägypten (Unterägypten), am Nil gelegen.
Hierophant: Ein Priester, der heilige Gegenstände zeigt.
Rotonde: Eine Rotunde ist ein Gebäude mit einem kreisrunden Grundriss.
Flor: ein dünner Vorhang aus Seide oder Wolle.
Isis: Ist eine Göttin in der ägypt. Mythologie. Sie war die Göttin der Geburt, der Wiedergeburt und der Magie, aber auch Totengöttin.
Märchen von Hans Christian Andersen – Des Kaisers neue Kleider
Es lügen Große mit den Kleinen
und lassen sich für Geld verbiegen,
um Macht zu halten, zu vermeiden,
dass manche Menschen besser lügen.
Sie fälschen, schleimen oder wüten,
wo‘s doch banal und unbegründet,
und zeigen ihrer Unschuld Güte,
obwohl ihr Heil’genschein verschwindet.
Noch leben sie auf großem Fuße,
schleichen mit finsterem Gesicht.
Ihr Größenwahn wird längst zum Fluche,
doch die Fassade bröckelt nicht.
In ‚Kaisers neuen Kleidern‘ stehend,
leugnet man seinen Niedergang,
damit manch Dummer, Gelder gebend,
noch schmeichelnd ‚Jacke ziehen‘ kann.
Des Lügners Nacktheit sieht ein Jeder,
die ganze Welt schaut auf sein Toben.
Lügt er nun weiter oder geht er?
Brillen dem Volk und Hirn von oben!
John Atkinson Grimshaw (1836-1893) – November Morgen
Novembertag, du dunkler Pantomime, bist jemand, der nicht gehen will. Treibst hinter Fenster und Gardine Gebärdenspiele, schweigend still.
Wie die Ruinen ausgedienter Hallen, ganz lichtlos, elend, grau erfüllt, verlassen, melancholisch, halb verfallen, bedrückend, scheint bizarr dein Bild.
Der Himmel hängt nicht voller Geigen, er hat sich lichtlos eingehüllt. Aus vielen Wolken tropft das Schweigen – der Tag, er steht mit Schwert und Schild.
Will sich der Helligkeit erwehren, verteidigt seine Dunkelheit und weder Kampf, noch Aufbegehren, hilft abzuwenden diese Zeit.
Der Kampf um die Vollkommenheit wird niemals enden,
auch wenn dies unerreichbar ist auf dieser Erde,
um alle Abwehr gegen Falschheit abzuwenden
und Licht zu sein, dass Dunkel heller werde.
Schwierig und mühsam ist das lange Dienen,
die geistige Verwirklichung aus dem Morast zu heben,
wo sie versunken liegt in Babylons Ruinen,
zurückgeworfen wird, mit hasserfülltem Beben.
Wo sie sich scharen und wo sie verbrennen,
den kleinen Teil von Wahrheit, den sie in sich fühlen;
wo sie in massenhafter Manipulation benennen,
was ihnen ‚weise‘ Männer ins Bewusstsein lügen.
Zum Töten schreien sie und fühlen sich berufen,
den eignen Wahn und Hass im Land zu schüren,
um Andersdenkenden den Niedergang zu buchen -
Religion der Macht, mit teuflischen Allüren.
So sind die Kirchen hier auf dieser Erde,
sie malen Gott in einem Bild von Wut und Zorn;
sie streuen Zweifel, dass der Sinn verderbe -
sie sind der Stachel und der Rose Dorn.
Wo immer es Leben gibt, entsteht es aus Geist,
eine Kraft, die auf den Ursprung im Göttlichen weist;
wo immer es Geist gibt, gibt es auch Leben -
der Körper sein Werkzeug, von Kräften umgeben,
ist nur ein Haus, das vom Geiste beseelt,
Energie, die im embryonalen Keim entsteht.
Diesem Geist erlauben, sich in Kraft zu erheben,
ihr im göttlichen Sinn Bedeutung zu geben.
Die schwersten Aufgaben still zu erfüllen,
sein Haus in das Licht der Wahrheit hüllen.
Erkenntniswege im Dunkeln erhellen,
im Lichthaus den Geist in die Fenster stellen.
Sorgen, Ängste und Furcht zu verbannen,
als Mensch triumphieren und Sinn zu erlangen;
im Tempel des Körpers, in dem er nur Gast,
wie ein Mieter, mit der Reinheit des Hauses befasst.
Teil der unendlichen Schöpfung zu werden,
als Anteil von Gott an Prozessen auf Erden.
Nach der Quelle des ewigen Seins zu streben,
aus ihr zu trinken, mit dem Willen zu geben.
Die Hochzeit des Lebens öffnet die Tür,
folgend dem Willen - macht aus Übung die Kür.
Der Geist, der im Menschen berufen, erwacht,
geht hindurch und hat Schritte nach Hause gemacht.
Die kurze Nacht verging,
es blieben dunkle Stunden,
Träume, die nicht verwunden,
sind immer noch im Sinn.
Es blutete aus Narben,
verdrängt ist all das Schöne,
und all die lichten Töne,
die mit den Wünschen starben.
Sie säuselten wie Stimmen
und sangen still: „Vergebens!“,
die Losung meines Lebens,
trostlos war ihr Verglimmen.
Die Hoffnungen ertranken
im Blute meines Herzen.
Trug Tränen meines Schmerzes
in meine Taggedanken.
Will wie ein Blatt zu Boden fliegen,
der Herbstwind, er soll sanft mich wiegen,
lass‘ hinter mir die warmen Zeiten;
muss langsam mich nun vorbereiten,
auf Stürme, stark und kalte Nächte.
Wenn doch der Winter wiederbrächte
den neuen Lenz mir, voller Sehnen,
mit allen lebensfrohen Tönen.
Auch, wenn ich weiß, was folgen wird,
gehn meine Schritte unbeirrt.
Erst, wenn ich durch den Tod gegangen,
kann ich die Wiederkehr erlangen.
Der Lebenskreislauf schließt sich dann,
damit ein Frühling kommen kann.
So wandelt sich das Erdenleben
zum geistig lichterfüllten Streben.
Gott wird begleiten meine Zeit
bis hin in alle Ewigkeit.
Erkenntnis suchend war ich krank und leer,
und endlos schien der Weg, so wie ein Meer,
unsagbar tief und fremd
und weit und ohne Wiederkehr.
So ging ich durch ein Tal,
mit Sohlen schmerzend wund,
denn viele Steine lagen auf dem Grund;
den falschen Zeichen, die bedeutungslos,
folgte mein Hoffen und die Not war groß.
Aus tiefster Grube kamen tausend Fragen,
die an mir hafteten und zogen,
zu meiner alten Last hab ich noch sie getragen,
als mir ein Licht aufging, sind sie verflogen.
Ich kehrte wissend heim in meinen Hafen,
den ich vergessen hatte auf der Fahrt;
wie eine Motte nach dem Licht mein Sehnen -
mein Dankgebet gilt jeder Müh und Plag.
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