Winter

Sophus Jacobsen (1833-1912)
Der Winterhimmel drängt sich grau ins Licht,
so schneeschwer ziehn die Wolkenzüge,
schweben vorbei, bis die Umhüllung bricht;
verlieren sich in flockenweißen Flügen.

Die Jahreszeit ist kalt, eisig ihr Händchen, 
bedeckt das müde Land mit Leichtigkeit,
trägt Frost und Schnee am Gängelbändchen,
wie einen kleinen Hund, der Unfug treibt.

Es ermattet die Natur, des Menschen Kraft,
teilt sich ihr großes Einsamwerden und trinkt Tee.
Übt, wie man frühes Schlafengehen schafft
und freut sich über erste Fußstapfen im Schnee. 

Kleine Freuden am Fenster

Bild von Dangel099 auf Pixabay
Die Vögelchen suchend, blickt die Katze durchs Fenster;
ganz aufgeregt geht ihr Schwanz hin und her,
von der Birke, hoch oben, wie ein mutiger Tänzer,
wippt ein rotes Hörnchen in den Zweigen umher.

Das Eichhorn, so niedlich, fast zutraulich munter,
läuft direkt über Wiesen und ‚klebt‘ an der Mauer;
meine Katze liefe gerne durchs Fenster, runter,
geht nun im gesicherten Raum auf die Lauer. 
Die gestreuten Haselnüsse sind gefressen und fort,
ein Rotkehlchen hat das Gras kontrolliert -
das putzige Hörnchen ist nicht mehr am Ort;
jedes übrige Korn wurde schnell konfisziert. 

Der Mittagstisch wird täglich aufs Neue gedeckt,
für die wenigen hungrigen Mäuler im Außen,
wo sich das kleine Leben auch versteckt:
Allen soll’s gut gehen, Drinnen und Draußen! 

Der Dezember

Quelle: https://design.tutsplus.com/

Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.

Ist viel geschehn. Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.

Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt. Und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, dass man’s versteht.

Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.

Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt,
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.

Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
„Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
und du kennst deinen nicht.“

Erich Kästner (1899-1974)

Zur Quelle allen Seins

Wasser – Hu JunDi (chinesischer Maler)
Wenn sein Tod die Geburt in den Geist des Lebens ist,
wandert der Mensch zur nächsten Etappe,
im Geiste seine eigne Persönlichkeit erhaltend.

Die Pilgerreise endet nicht im Nichts,
sondern dient der Verfeinerung 
aller dem Geist innewohnenden Eigenschaften,
zur Entwicklung, Belebung, Entfaltung bereit,
um sich der Quelle allen Seins zu nähern.

Der Mensch, der Geist ist, 
potenziell vollkommen erschaffen,
wird nicht in der Gottheit aufgehen,
bis er gereift ist,
in Entwicklungsgängen der Vervollkommnung,
die so unendlich sind wie Gott selbst. 

König aller Könige

Quelle: Pinterest
Gott ist der Ursprung aller Existenz,
beseelt den Kosmos, lässt die Sterne tanzen;
göttliche Energie, die Ur-Frequenz,
ist Architekt unendlicher Distanzen.

Der König aller Könige ist Er,
ist nur gekrönt von Licht und Sternenglanz;
Er ist kein Mensch, doch sind die Menschen mehr
als Körper nur - der Mensch birgt Seine Geist-Substanz. 

Ein Hauch von Nichts – mehr als Verstand;
toter Materie gibt Er Lebensgeist.
Psyche ist nicht nur Seele, sie verband
Materie mit Geist, der sie mit Liebe speist. 

Flicht die Krone Ihm, aus lichtem Denken,
übersteig mental Standpunkt und Sicht,
reiß ein die Mauern, lass die Liebe lenken,
hin zum Ursprungsort der Zuversicht.

Ganz leise…

Musikstück von Barnabás von Géczy (1897-1971)
Interpret: Ulrich Tukur und Band

Petrus Van Schendel (1806-1870)
Ganz leise kommt die Nacht aus weiter Ferne,
Ganz leise singt sie uns das Lied der Sterne,
Ganz leise schwingt sie durch die Luft,
Sanft und süß der Duft von bunten Blumen.
 
Ganz leise kommt ein Flüstern und ein Rauschen,
Ganz leise steh'n die Menschen da und lauschen,
Wie von tausend Geigen singt und klingt es,
Ganz leise, ganz leise singt die Nacht ihr Lied.

Hörst du das singende, jubelnde, klingende Lied der Natur?
Hörst du ihre zärtlichen Harmonien in Moll und Dur?
Hörst du die Stimmen der Bäume und Tiere in Nord und in Süd?
Hörst du ihre Herzen fragen und im Rhythmus schlagen?

Zeiten entstehen und Zeiten vergehen. Es dreht sich die Welt.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter eilt durch Nacht und Feld.
Über die Berge und über die Täler fliegt zart ein Akkord.
Und auf leichten Flügen ziehen tausend Melodien.

Ganz leise kommt ein Flüstern und ein Rauschen,
Ganz leise steh'n die Menschen da und lauschen,
Wie von tausend Geigen singt und klingt es,
Ganz leise, ganz leise singt die Nacht ihr Lied.

Es werde Licht

Bild von David Mark auf Pixabay
Gewand der Nacht, vergänglich Ding,
der Himmel wechselt’s Kleid.
Der Weltenmorgen - Neubeginn,
in lichten Goldglanz steigt. 

Nach Gottes Wort am ersten Tag,
die Dunkelheit verging.
„Es werde Licht!“ – der Morgen naht,
ist wie der Welt Beginn. 

Der Anteil an dem Bau der Welt,
sei reines Denkens Licht,
damit das Strahlen, Raum erfüllt,
in deine Seele bricht. 

Jahresringe

Bild von lillaby auf Pixabay
Bald schon wieder Festtagszeit!
Ein Jahr ist wie nichts verflogen,
Gegenwart so schnell vollzogen,
so, als hätt‘ sie sich befreit.

Frei von den vergang’en Lasten,
die so schwer zu tragen waren,
sind erinnernd, wie Gefahren,
die sich hin zur Zukunft tasten.

Immer drehen Schicksalsräder,
sind mal unten und mal oben;
weinend, lachend, jauchzend droben,
und das Los treibt sie in Gräber.  

Wie am Baum die Jahresringe,
zeigen sich des Lebens Jahre;
von Geburtszeit bis zur Bahre
liegen längst vergang’ne Dinge.

Wenn die Kerzen angezündet,
lasst die Lichter weit erstrahlen,
denn das Leuchten gilt uns allen.
Friedenszeit ist uns verkündet! 

Kinderspiele

1956
Einst, auf asphaltfreien Straßen,
in den Zeiten nach dem Krieg,
als dort viele Kinder spaßten,
die der Tag ins Freie trieb.

Drinnen hingen Wäscheleinen,
füllten sich mit nassen Sachen,
in dem Wohnzimmer, dem kleinen,
war kein Platz zum Späße machen.
Wenn die Welt in Nebel sank
oder lag im tief Verschneiten,
war’n wir draußen, stundenlang,
spielten frierend in den Weiten.

Hatten rot gefror’ne Hände,
trotz der Fäustlinge am Bande,
die im Krieg zerschoss’nen Wände
boten Platz am Straßenrande.

„Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann?“,
klang das Spiel mit Kinderfragen,
niemand war vor’m weißen bang, 
kein Mund wagte es zu sagen.

Und wir saßen auf den Steinen,
auf den alten Treppenstufen.
Unser Lachen, unser Weinen,
unterbrach nur Mutters Rufen. 

Schmerzvoll taute jeder Finger,
auf dem Essen lag ein Schweigen,
und des Vaters ernste Miene
ließ mich schnell nach draußen treiben. 

Der lange Schlaf

Quelle: Pinterest
Wenn die Nacht den Sternenmantel breitet,
und die Zeit unmerklich vorwärtsschreitet,
sich die Lider fest geschlossen wähnen,
Schlafes trunken nach Traumbildern sehnen.

Lichte Gärten altbekannter Stätten,
wie Oasen sich in Wüsten betten,
und die Nacht, sie löscht des Tages Spuren -
bleibt im zeigerlosen Ticken alter Uhren,

Zifferblätter, zahlenlose Scheiben;
zeitlos geht die Nacht, im stillen Treiben,
wie die Schnecken - schleimige Gefährten,
deren Spur durchzieht geträumte Gärten.

Langsam wird die Nacht ins Traumland führen
und entschweben durch geschloss’ne Türen,
in die Welt, wo die schon längst Gegang’nen,
schweigend, neue Ewigkeit empfangen.

Jedes Leben eine Perle auf der Schnur.
Nur der Schlaf erlöst des Tages wehe Spur,
breitet sich im Unbewussten aus,
bringt den langen Schlaf von Haus zu Haus.