Leben an Leben

Vladimir Kush (1965-

Das Leben ist wie eine Pflanze,
wurzelnd im Ur-Grund, zum Himmel strebend,
jedes mit einzigartiger Blüte,
im steten Werden, Wachsen und Vergehen.
Immer aufs Neue erdentief versunken,
irgendwann,
vom Licht bestrahlt, neu erwachend,
und vom Schein der Sonne gestärkt,
wachsend und blühend, mit frischen Trieben.
So reiht sich im Lichte GOTTES,
Leben an Leben,
Menschenblüte an Menschenblüte.
Gib dich seiner Flamme und du bist verklärt!

Frei sein von dir

Carl Vilhelm Holsøe (1863-1935) Junge Frau auf dem Balkon

Das Große in dir lieb’ ich,
das du stets verneintest,
schautest dich an,
vor einem blinden Spiegel.
Schaff dir ein klares Bild,
dann blick hinein, erkenne!
Schau deiner Seele hellen Glanz,
sie schimmert sanft und warm.
Sie wärmte mich.
Wie ich sie liebte!

Sie hüllt mich nicht mehr ein
und deine Worte
flohen schwer.
Zurück blieb NICHTS,
das Wort „warum“ und Traurigkeit.
Es gibt kein Mit-dir
und kein Ohne-dich!

Ich treibe fort,
in bitter-blut’gen Tränen,
gelöst von aller Träumerei;
zum Sterben müd’,
geh ich den Weg allein.

Wo tausend Menschen
meine Andacht stören,
ist kein Friede.

Du hast ihn fortgenommen,
vor der Zeit und allem Sinn.
Mein Herz verbrennt
im wehmutsheißen Regen.
Nichts stillt die Glut,
dein Bild wird nie vergehen.

Meins starb in dir.

Schon bald

Vincent Willem van Gogh (1853-1890) – Krähen über Weizenfelder

Das Zwitschern in den Zweigen ist verstummt,
die Krähen kreisen schreiend übers Feld,
als in der Frühe unkenntlich vermummt,
der Herbst gekrochen in die Sommerwelt.

Vorboten stehn schon lange stumm bereit;
bald fahren Schnitter übers weite Land,
sammeln die reifen Ähren dieser Zeit,
lösen der Sonne heißes Zeitenband.

Kurz scheint der Sommer, regennass und kühl,
die Leichtigkeit des Seins, sie geht dahin.
Herbstliches Licht nimmt manches Hochgefühl,
bald wird aus Sommerende Herbstbeginn.

Gelöste Knoten

Gemäldeausschnitt: Maria Knotenlöserin
Johann Georg Melchior Schmidtner (1625-1705)

Gefühlte Freiheit ist des Menschen Flucht
aus Alltag, Dasein fristend in den Räumen.
Im Außen er nach Licht und Sonne sucht,
sein Geist sucht Wirklichkeit in seinen Träumen.

Sind’s oft verwirrte Fäden, unlösbar,
die Menschen um ihr Schicksal banden,
so mancher Sommertraum macht klar,
das, was verband, kam irgendwann abhanden.

So ist der Faden unsres Lebensbandes
mit vielen Knoten oft versehen.
Ein jeder muss sie selber lösen,
die eigene Schuld daran, verstehn.

Maß der Zeit

Göttliche Geometrie – Vladimir Kush (1965 – )

Das Maß der Zeit, vergangenes Empfinden,
verschmilzt alsdann mit Gegenwart,

lässt Künftiges in Hoffnung gründen,
die eine Aussicht hat, auf Tat.

Ereignisse, die Wellen schlagen,
sind bald schon in vergangener Zeit,

wenn sie jedoch Gefühle tragen,
sind sie stets Gegenwärtigkeit.

Ist das Empfinden einst vorüber,
ziehn sie in „alte Zeiten“ um.

Wir ordnen Zeit, wie Pflanzenfreunde
die Blätter im Herbarium.

Bestimmen taktvoll unser Leben,
gleich, wie das Pendeln einer Schwingung;

die Rotation der Erdumläufe
sind unsrer Zeiteinheit Bedingung.

Der Zeiten Anfang? – Unerklärlich!
Es bleibt uns ein Mysterium.

Sterblich sind wir – Allväter ewig,
hier bleibt das Universum stumm.

Gewissheit

Es wird noch lang so bleiben,
und ich fürchte mich:
Nur eisiges Schweigen
zwischen den Wänden –
und ich!

Da ist kein ‚Wir’,
das sich im ‚Uns’
verschließt – kein ‚Du’.
Kein Vogel singt
ein Lied für
‚unsren’ Tag!

Mit Sonnenhänden
hast du mich berührt,
und Hoffnung in den
Garten meiner Seligkeit
gepflanzt.

Doch ewig bist du fern,
und wo die andern Pärchen
liebend beieinander sitzen,
da ist kein Platz für uns.

Du sitzt mit andern –
nicht mit mir!

Dort, wo die Hoffnung
in mir wuchs,
blüht einzig wehes Bangen,
denn deine Sonnenhand,
sie brannte mir
Entsagen in das Herz.

Die Tage ohne dich
sind dunkel mir und kalt,
und alle Wege, die ich jemals
ging mit dir,
sie liegen traurig, tot im
Schatten unsrer Liebe.

Bitte, komm bald!

(2007)

Über die Traurigkeit

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und man ist angefüllt mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, also ob die Seele unwohl wäre.

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.

Erich Kästner (1899-1974)

Ort des Vergessens

Bild von Paul Sprengers auf Pixabay

Das alte Haus am Stadtrand,
ist angefüllt mit Licht,
doch in den dunklen Stunden
sieht man’s von außen nicht.

Die durch die Räume schweben,
es sind die alten Träume,
der längst vergang’nen Leben,
sie tanzen durch die Räume.

Ein Duft von fremden Ländern,
ein Jauchzen und ein Singen,
wie rauschen von Gewändern
und unbekannte Stimmen.

Energie in allen Räumen,
ein Flüstern und ein Raunen,
wie längst verhalltes Lachen
von magischen Alraunen.

Doch draußen ist es stille,
der Abendwind weht leise.
Der Ort, nur leere Hülle,
träumt die vergessene Weise.

Die Geister dieses Ortes
sind lang schon fortgeweht,
im Klang des Zauberwortes,
ein Traum, der weiterlebt.

Folgen

Pietro Saltini (1839-1908)

Sie waren jung und sehr verliebt,
hatten nur Augen für sich,
in ihnen erwachte ein lockender Trieb;
ihr Treiben kam bald ans Licht.

Nicht ohne Folgen blieb ihr Tun,
die Gesellschaft regte sich auf,
die Anklagen Dritter wollten nicht ruhen,
das Schicksal nahm seinen Lauf.

Der Liebe folgte alsdann das Bereuen,
sie waren arm und naiv.
Nie konnten sie sich ihren Leichtsinn verzeihen,
weil ihr Leben nun ernsthafter lief.

Die Verwandtschaft drängte folglich zur Ehe,
SIE zeigte stolz ihren Bauch.
Es gab keine Jobs in ihrer Nähe,
er ging noch zur Lehre, sie auch.

Sie feierten schließlich Hochzeit in Eile,
erwarteten Hilfe vom Amt.
Er lernte noch eine lange Weile,
ihre Ausbildung ‚fuhr gegen die Wand‘.

Als Geselle wurde er stolzer Vater,
dann folgte Kind Nummer Zwei.
Von vorne begann das Kinder-Theater.
Man(n) wünschte sich Ruhe herbei.

Sie war für Kinder und Haushalt da,
er hielt es nicht so mit der Treue.
Sie wurde im Alter wie unsichtbar,
nebenher nahm er sich eine Neue.

Es trieb ihn zu seinen Zech-Kumpanen,
dort betrank er sich über Gebühr.
Handgreiflich und wirr kannte er kein Erbarmen,
sie setzte ihn vor die Tür.

Gewalttätig blieb er, ist meistens betrunken,
ist frustriert von Frau und von Kind.
Ihr Leben bleibt so, in Schulden versunken,
…wenn sie nicht gestorben sind.

Buchstabenreigen

Alte Schule

Als Kind trugen mir Bücherzeilen
Geschichten in mein Herz hinein,
begleiteten mich in stillen Räumen,
bei Regen, Schnee und Sonnenschein.

Was ich auf Schiefertafeln schrieb,
war wie ein Tanz des Alphabetes;
Buchstabenreigen, wirbelnd und tief,
schien ein von Geheimnis Umwebtes.

Griffel quietschten, ich lernte beherzt,
wollte schreiben und verstehen,
um zu erkennen, was Drama und Scherz,
wie es die Erwachsenen sehen.

Ich besaß einen kleinen Koffer im Haus,
darin schaute ich Bilder, stundenlang,
denn der Inhalt waren Hefte von Mickey Mouse,
sie zogen mich in ihren Bann.

Ich las jedes Blatt, jedes Heftchen hier;
als ich mit fünf Jahren zur Schule ging,
war ich in den Klassen ein Pionier,
dem man gern an den Lippen hing.

War ‚nur‘ ein Mädchen, mit wachem Verstand,
aber ‚nur‘ ein Arbeiterkind.
Oft wurde ich drohend mit „Fräulein“ benannt.
Für ein Mädchen war Vater blind,

und schlauer als er durfte niemand sein.
Nur die Volksschule gab es für mich.
„Oberschüler bleiben lieber allein.
Ein Kind, wie dich, das wollen die nicht!“

Einschulung 1958

Ich fügte mich, galt als „unnützes Ding“,
war zu schwach für die Männerwelt.
Nahm die Prügel meiner Eltern hin,
ich taugte nichts, kostete Geld.

Ich lernte leidgeprüft, was Drama ist,
hüllte ängstlich mein Dasein in Schweigen.
fühlte in mir, was man nie vergisst,
lebe lieber in Bücherzeilen.