Schneeflocke

Der Wind trägt dich aus fernen Weiten,
lässt dich aus grauen Himmeln gleiten,
glitzernd wie ein kristallner Stern.

Bist so vergänglich, winzig klein,
doch wirst du in Gesellschaft vieler Flocken
bald wie ein weißer Riese sein.

Ein kühler Hauch bist du, bedenkt,
aus Wasser nur – auch wenn man’s halten kann,
doch rinnt aus deinem Schmelz alsdann
wieder ein flüchtig’ Element.

Zu Tode geblüht

Bild von Greg Montani auf Pixabay

Es glänzt nicht mehr im Licht,
wo es die Tropfen tausendfältig bricht.

Wasser, das einst von Gott gegeben,
fruchtbar, mehrend, unter urzeitlichem Regen,
als starker Strom die Eiszeit überwand,
flutend mit Leben ferne Welten band,
wo‘s unermüdlich wuchs, gedieh in Güte,
bevor das Land sich einst zu Tode blühte.

Der Wind streicht Wellen in den Sand,
malt heißen Flächen ein Gewand,
Todbringend, unverwüstlich scheint das Treiben,
soweit das Auge reicht, ein sandig Bleiben.

Vom Wüstensand bedeckt,
die alte Welt begraben,
liegt sie im Grab der Zeit,
bedeckt von Hitze-Narben.

Wo die Giganten einst die Welt durchstreiften,
wie Dinosaurier auf kolossalen Märschen,
wo Vielfalt und die Macht der Starken herrschte,
und Schachtelhalme, groß wie Bäume,
in den Wäldern reiften.

Dort leben heute noch die Recken in Legenden,
die Urzeit-Riesen, die im Kampf vollenden,
was dieses schwache Menschentum enthielt:
Von David gegen Goliath ein Bild.

Auch heute scheint den Starken Leben dargeboten,
sie nehmen Lebensenergie von andern, irgendwie.
Doch nur EIN Schlag und sie erliegen ihren Stärken
und auf des Daseins Grund versinken sie.

Bewusstsein wird die Zeiten überleben,
in hohen Tönen wird es einst erklingen.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“, die Worte beben,
der Geist der Wahrheit wird mit Engeln singen.

Vom Staub bedeckt – die alte Welt vergangen,
liegt bald im Grab der Zeit.
Göttlich das Bild vom steten Neu-Anfangen,
von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Bild von klimkin auf Pixabay

Winter will es werden

Carl-Ludwig Fahrbach (1835-1902) – Spätherbst

Dunkel wird’s schon frühe,
Sonne dringt mit Mühe,
durch den grauen Dunst.

Nebel wallen wieder,
Kälte lähmt die Glieder.
Schleierhafte Kunst!

Kalt ist es geworden,
und vom hohen Norden
ziehn die Winde ein.

Tanzen durch die Straßen,
singen in den Gassen,
säubern Feld und Stein.

Fegen durch die Schächte,
einsam sind die Nächte;
Seelen wachen müd.

Winter will es werden,
und der Herbst auf Erden,
singt sein Abschiedslied.

Herbstgefühle

John Atkinson Grimshaw (1836-1893)

Man kann nur schlafen oder müde schauen,
den großen Wolkenschäfchen folgen,
vor des Himmels Grauen,
die schnell zerpflückt in Wirbel ziehen,
abends zum roten Horizont entfliehen.

Nur kühle Luft streift durch die
asphaltgrauen Straßen,
die nebeltrüb, vom Dunst beladen,
das Leben in die Häuser treibt,
wo Tropfen hängen an Fassaden
und die Natur erstarrt und schweigt.

Herbststurm

Bild von holdosi auf Pixabay

Es türmt der Sturm die Wolken auf,
und rüttelt an den Bäumen,
ein Regentag nimmt seinen Lauf,
der Mensch erwacht aus Träumen.

An Fensterscheiben, tropfenschwer,
rinnt früh der erste Schauer.
Die Welt scheint einsam, vogelleer,
und muss sich selbst bedauern.

Wo noch der Blüten letzte Pracht
bis in den Herbst geschoben,
kam nun der Wind, hat über Nacht
den bunten Flor zerstoben.

Bald eilt vorbei, was zwingend muss,
vom Rückenwind getrieben.
Die Straße scheint ein grauer Fluss,
das Wetter windbetrieben.

Gefühlter Herbst

September – Olga Wisinger-Florian (1844-1926)

Nun geht die Wärme langsam fort
und zieht in andere Gefilde.
Der Herbst steht ungestüm vor Ort,
es wird, was grün war, braun im Bilde.

Getrieben bald vom Ungestümen,
treibt er, der Wind, die Äste leer.
Wo späte Rosen sanft verblühen,
bläst er über das Pflanzenmeer.

Treibt vor sich her die Blätterheere,
gefallen für die letzte Schlacht.
Gewachsen ist mit ihm die Leere
auf Bäumen, in bizarrer Pracht.

Frühnebel wallen wie Gespenster,
die Stille saugt den Geist der Zeit.
Beschlagenheit am Autofenster,
einsichtig steht der Herbst bereit.

Herbststimmung

Bild von ELG21 auf Pixabay

Wenn die Sonne nicht mehr scheinen will,
steht der Antrieb unsres Handelns still.

Die Natur zieht auf mit Wolkentürmen,
Regen wird das trockne Land erstürmen.

Wo der forsche Wind durch die Alleen weht,
werden grüne Wipfel wie im Tanz bewegt,

und der Herbst singt seine bunte Melodie,
„Abschied“, klingt im Blätterrauschen, irgendwie,

tragen das vergang‘ne Jahr im Blattgewand,
wenn sich Morgendunst im ersten Nebel band.

Frühlingshaft sind junge Menschenleben,
ganz von ungestümer Lebenslust umgeben,

doch bereits im blumenvollen Lenze,
bindet man des Herbstes letzte Kränze.

Wenn bei wilden Stürmen, nassem Wetter,
lichten sich die Zweige, fallen Blätter;

muss bei jedem müden Niedersenken,
an das Sterben von Natur und Menschen denken.

Heimatland

Auszeit am See – Ulla Genzel, Kevelaer (1960 -)

Ein Lauschen in die Stille hinein,
letztes Vogelsingen am Feldesrand.
Kein Motorenlärm zwischen Häuserreihen,
in Natur bettet sich das weite Land.

Wege verlaufen durch Feld und Flur,
eine Bank bietet Ruhe und Rast,
der Sonnenglanz sprüht eine Abendspur
auf Blätter, gemildert im Glast.

Mit Sternenaugen schaut vom Abendhimmel
der tröstende Gott herab,
fern von Sorgen und Weltgetümmel,
ruht in Frieden der Wanderstab.

Muttersprache, Heimatglück!,
zwischen Bäumen und leichten Winden,
längst entschwunden meinem Blick,
jedes Erinnern ein Wiederfinden.

Seelenfarben

Das Spektrum der Farben dieser Welt,
das der Wahrnehmung nicht ins Auge fällt,
ist ein weißer Strahl gebrochenen Lichts,
das durch Prismen erzeugte Nuancen bricht.
Weiß, zunächst durchsichtig neutral,
unsichtbar, mit Allem und Nichts im Strahl,
Akzente setzend, sie hervorzuheben,
Lebendigkeit des Auges und des Lebens,
durchscheinendes Dasein der reinen Farben,
ein Regenbogen der bunten Gaben;
darstellend sachlich, doch verbindend im Schein,
unzerlegbar und strahlend im natürlichen Sein.

Sommerspaziergang

An einem Sommertag, der längst vergangen,
an dem ich einsam durch die stillen Wiesen schritt, vernahm
ich Laute hinter mir, die wie ein Wispern mit dem Winde flogen,
und jedes Mal, wenn ich die weite Stätte überblickte,
war außer meinem Schatten niemand dort,
kein Unbekannter, der mich schreckte, kreuzte meinen Weg.

Und als ich weiter ging, vorbei an bunten Auen,
da senkten dunkle Tannen ihre Zweige wie zum Gruße.
Ihr dunkles Grün verneigte sacht sich unter milden Winden,
und wie im Spiele tanzten die Libellen an den Teichen.
Da raunte mir ein Säuseln, wie aus fernen Welten, durch die Äste,
und wie ein leises Flüstern ging es hoch durch alle Wipfel.

Nun hielt ich inne, lauschte in die angenehme Stille,
benommen noch von all’ den süßen Blütendüften,
und um mich wob ein herrlicher Altweibersommer,
in dem die Spinnentiere lautlos ihre Netze spannten,
und eine süße Schwere lag schon auf den Reben,
die voll des edlen Saftes an den Stöcken hingen.

Die Welt lag wie ein großer, bunter Garten,
so weit, bis lichter Horizont das Blau des Himmels küsste,
und als das Sonnenglühn die Felder golden malte,
da glaubte ich erneut, den schnellen Schritt zu hören, hinter mir.
Doch wieder ging mein Blick zurück ins Leere.
Geheimnisvoll, das Blätterrauschen in den Sträuchern!

Was war das für ein Flüstern in den Hecken?
Erst klang es fremd, dann rätselhaft vertraut.
Der Mais trug in der Sonne schwer an seinen Kolben;
wie goldene Meere wogten weite Ährenfelder mit dem Winde.
Die Drossel sang zum Abschied mir ein Lied vom Abend,
und üppig rankte Efeu an den alten Stämmen.

Die schwere Luft vibrierte, heiß, mit Hitzeflimmern
und lauter wurden Flüstern und die Schritte.
Ein fernes Raunen drang wie dumpfes Donnergrollen, und
eine leise Ahnung kreuzte meinen Weg auf seiner Mitte.
Was folgte mir, verborgen, doch so gegenwärtig?!
Wird es in Schönheit mir erscheinen oder gar mit Grausen?

Bedächtig ging ich durch die Auen an das Flüsschen,
vorbei an feuchten Ufern in das Abenddämmern.
Die ferne Glocke läutete zur Andacht wie in all den Jahren,
sie trug mir wohlbekannte Töne in die graue Stunde.
Und als die Stadt schon nah, da war der Tag verschwunden,
doch er, der Unsichtbare, folgte ihm mit eil’gen Schritten. –

Es war der Herbst! – Trug kühlen Abendwind in unser Städtchen
und trieb die ersten braunen Blätter auf die Wege.
Das satte Grün – schon bald wird es sich wandeln!
Und die Natur, sie wartet müd’, mit früchteschweren Zweigen.
So ist mit einem Mal der letzte Sommertag vergangen,
und ich ging nachdenklich dem Herbst entgegen.