Feindbilder, Kaisertreue und Krieg

Gekürzter Auszug aus meinem biografischen Roman über Henriette Brey (1875-1953)

https://katalog.ub.tu-braunschweig.de/vufind/Search2Record/1609258002

„Wir Deutsche fürchten Gott, sonst niemand auf der Welt!“

Sozialprobleme wurden im Kaiserreich zunehmend mit Unruhen und Auflehnung bekämpft. Preußen formierte sich, und es gelang dem Militär, auch außerhalb der Exerzierplätze, noch stärker den Ton anzugeben. Die ohnehin schon hoch verehrte Armee erhielt durch staatliche Bevorzugung noch höhere Weihen, was besonders den Adel stärkte, weil die Mehrzahl der preußischen Offiziere „blaublütiger“ Herkunft war.

Man schloss sich in Kriegervereinen zusammen und bildete paramilitärische Jugendverbände. Fleiß, Ordnung, Gehorsam, Drill und preußischer Ehrenkodex stellten den elementaren Grundlehrstoff an den vaterländischen Schulen dar, aber auch das Wissen um Deutschlands vermeintliche Feinde, wurde ausgiebig gelehrt. Die feindliche Gesinnung gegenüber Demokratie, Liberalismus und Sozialismus wurden geschürt und der Judenhass, der bereits als dunkle Saat seit Jahrhunderten in deutschem Boden schlummerte, wurde in den Herzen der Kinder zum Leben erweckt.

Doch die Reichsfeindkampagnen richteten sich auch gegen die katholische Bevölkerung, Polen, Lothringer und Elsässer. Später sollten sich zu den öffentlich verbreiteten Feindbildern noch die Schwarzafrikaner, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Intellektuellen, der „Erbfeind“ Frankreich und überhaupt alles, was „ausländisch“ war, hinzugesellen.

Die sozialen Probleme des Landes brachten schließlich den schwelenden Konflikt zwischen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck zum flammenden Ausbruch. Beide hatten kein Interesse an einer Besserstellung der Arbeiter. Doch sollte ein propagandistisches Programm im Hinblick auf Frauen- und Kinderarbeit des Kaisers Ruhm anhaltend mehren.

Bismarcks Zeit war vorüber, als er keine parlamentarische Mehrheit mehr für seine Pläne fand. Schließlich reichte er sein Entlassungsgesuch ein. Mit ihm verschwand ein Garant des Gleichgewichts der politischen Kräfte von der politischen Bühne Europas. Da wo er eine devote Untertanenmentalität gefordert hatte, die für Kaisertreue, blinde Verherrlichung desselben, Preußentum und Demokratiefeindlichkeit stand, konnte weder die freie Rede noch ein frischer Geist von Toleranz gedeihen.

Kaiserkrönung 1871

https://www.wikiwand.com/de/1._Garde-Regiment_zu_Fu%C3%9F4

Nicht nur die Landbevölkerung zollte den damaligen autoritären Normen fast enthusiastisch Beifall. Sich fügen fiel ihnen leichter als Protest. Bismarcks Worte: „Haut doch die Polen, dass sie am Leben verzagen!“ oder ähnliche diskriminierende Äußerungen, hatten sich tief in den Volksgeist eingegraben.

Alle waren dazu bereit, durch Ausbreitung des deutschen Geistes auf der Erde, am Wirksamsten den Bau der Welt Gesittung zu fördern. Die deutsche Kultur bedeutete das Ideal menschlichen Denkens und jeder Schritt, der für das Deutschtum errungen wurde, gehörte der Menschheit und der Zukunft unseres Geschlechts.

Man redete mit einem Male über Führerrassen, und, dass das Hereinbrechen einer hochgesinnten Edelrasse nicht der Vernichtung, sondern der Höherentwicklung der Besiegten dienlich sei. Das Militär glich den Kreuzrittern, die angeblich dem Herrn der Heerscharen dienten und ihr Tun als Erlöserwerk ansahen.

Die Träume der „Alldeutschen“ wurden nun mit entsetzlicher Steigerung in den Weltmachtplänen Hitlers weitergesponnen.

ARBETLOSEMARSCH

Heute geht es uns gut! Jeder erhält im Notfall Sozialleistungen und muss nicht verhungern. Viele jammern trotzdem und wählen aus Frust die ‚blaue‘ Partei. Das wäre ein Rückschritt in die Vergangenheit. Ich kann den Menschen immer nur vor Augen halten, wie es damals war. Die Fremdenfeindlichkeit ist leider geblieben, obwohl im Urlaub alles anders zu sein scheint.


Als Anschluss an meinen letzten Beitrag über die Weltwirtschaftskrisen

Jiddische Lieder – Zupfgeigenhansel

Text und Komposition: Mordechaj Gebirtig (1877-1942)
Am 4. Juni 1942 wurde er bei einer Aussiedlungsaktion zusammen mit seinem Künstlerkollegen, dem Maler Abraham Neumann, im Krakauer Ghetto auf offener Straße von einem deutschen Besatzungssoldaten erschossen.

Ejns,
Tswej,
Draj,
Fir,
Arbetlose senen mir,
(wir sind die Arbeitslosen)
Nischt gehert chadoschim lang
(seit Monaten haben wir nichts mehr gehört)
In farbrik dem hammer-klang,
(der Klang der Hämmer in der Fabrik)
‚S lign kejlim kalt, fargesn,
(Werkzeuge liegen kalt und vergessen)
‚S nemt der sschawer sej schoj fresn
(Am Ende wird der Rost sie auffressen)
Gejen mir arum in gas,
(Wir schlendern durch die Straßen)
Wi di gewirim pust-un-pas,
(wie wichtige Leute, die herumtrödeln.)
Wi di gewirim pust-un-pas.
(wie wichtige Leute, die herumlungern.)

Ejns,
Tswej,
Draj,
Fir,
Arbetlos senen mir,
(wir sind die Arbeitslosen)
On a beged, on a hejm,
(ohne Kleidung, ohne ein Zuhause)
Undser bet is erd un lejm,
(unser Bett ist Erde und Schlamm)
Hat noch wer wos tsu genisn
(Wenn jemand noch was zu essen hat)
Tajt men sich mit jedn bisn,
(wir teilen jeden Bissen davon)
Waser wi di g’wirim wajn
(Wasser, wie die reichen Leute mit Wein)
Gisn mir in sich arajn,
(wir gießen in uns hinein)
Gisn mir in sich arajn.
(wir gießen in uns ein)

Ejns,
Tswej,
Draj,
Tanne,
Arbetlose senen mir,
(wir sind die Arbeitslosen)
Jorn lang gearbet, schwer,
(Wir haben jahrelang hart gearbeitet)
Un geschaft alts mer un mer,
(immer mehr und mehr bauen)
Hajser, schleser schtet un lender
(Häuser, Paläste, Städte und Länder)
Far a hojfele farschwebder.
(für einen Haufen verlorener Kinder)
Unser lojn derfar is woa?
(was ist unser Lohn dafür?)
Hunger, nojt un arbetlos,
(Hunger, Bedürftige und Arbeitslose!)
Hunger, nojt un arbetlos.
(Hunger, Bedürftige und Arbeitslose!)

Ejns,
Tswej,
Draj,
Fir,
Ot asoj marschirn mir,
(und darum marschieren wir)
Arbetlose, trit noch trit,
(Arbeitslose, Schritt für Schritt)
Un mir singe sich a lid
(und wir singen uns ein Lied)
Fun a Land, a weit a naje,
(von einem neuen Land, einer neuen Welt, einer neuen)
Wu es lebn mentschn fraje,
(wo freie Menschen leben)
Arbetlos is kejn schum hant,
(Niemand ist mehr arbeitslos)
In dem najen fajen land,
(im neuen freien Land)
In dem najen fajen land.
(in dem neuen freien Land)

Weltwirtschaftskrisen vor ca. 100 Jahren

Gekürzter Auszug aus meinem biografischen Roman über Henriette Brey (1875-1953)

1934

Heinrich sprach ein Tischgebet, so wie es früher Vater tat, und nachdem wir es mit einem „Amen“ beendet hatten, begann mein Bruder Josef zu erzählen: „Es ist bald so, wie vor zehn Jahren. Zu kaufen bekommt man fast überhaupt nichts mehr oder es ist so teuer, dass es niemand bezahlen kann. Das Geld ist nichts mehr wert und Arbeit gibt es auch kaum noch. Überall sagt man, mit Hitler würde bestimmt alles besser.“

Schon der Name bereitete mir Unbehagen. Diese Regierung hatte mir all meine Sicherheiten genommen. Bisher hatte ich meinen Lebensunterhalt durch meine schriftstellerischen Arbeiten bestreiten können. Ich fürchtete mich vor der Zukunft. Hitler ließ Bücher verbrennen, doch was kam als Nächstes?

Trotz alledem konnte ich meinen Bruder verstehen. Vor ein paar Jahren hatte er, wie alle anderen, noch stundenlang mit einer Brotkarte anstehen müssen, und wenn Maria es mal auf „Umwegen“ zu einem bisschen Gries oder Graupen und etwas Öl gebracht hatte, war die Freude groß und ein frisch ‚erbeutetes‘ Seifenstück war purer Luxus und kam direkt hinter dem Traum von Bohnenkaffee. Es war die Zeit, in der Tee noch selbst gesammelt wurde, um einen aufrührerischen Magen mit Brombeerblättertee zu beruhigen. Geraucht wurden Huflattichblätter und Buchenlaub, anstelle von Tabak. Wenn der Hunger allzu sehr drückte, band sich Josef einen Rucksack auf den Rücken und versuchte bei den umliegenden Bauern etwas Essbares einzuhamstern, was sich diese dann aber teuer bezahlen ließen.

Das war die bitterböse, schlimme Wirklichkeit, die alle erlebt hatten, und in der die schlanke Linie ganz von alleine kam. Das einzige Fett waren sechzig Gramm verwässerte Butter – die Ration für eine ganze Woche. Mutters Schweinebraten wurde zum unerreichbaren Ideal, dem man mit trüben Gedanken und ehrfürchtigem Schauer seufzend hinterher trauerte. Zigarren kosteten mit einem Mal Milliarden und man begann getrocknetes Kartoffelkraut in Tabak umzufunktionieren.

Wenn Maria mit viel Einfallsreichtum ein bisschen Zucker für den Kornkaffee auftreiben konnte, war Feiertag. Des Abends ging man früh ins Bett, um Brennholz zu sparen und konnte oft genug wegen des knurrenden Magens keinen Schlaf finden. War man endlich eingeschlafen, träumte man von einem herrlich gedeckten Kaffeetisch mit köstlichem Weizenbrot, goldgelber Butter, rosigem Schinken und Wurst, frisch aus dem Rauch. Ein Puderzucker überzogener Gugelhupf lockte zusammen mit echtem, duftenden Bohnenkaffee.

Schon wälzte man sich unruhig im Schlaf hin und her und erwachte mit einem leeren Gefühl in der Magengegend und mit vor Kälte zitternden Gliedern. Die Hosen schlotterten um die dürr gewordenen Beine. Vorbei der Traum von weißen, runden Würsten, dickem Schwartemagen, goldgelben Eidottern und Speck. Fort waren der prächtige Käselaib und das Paket mit wohlriechendem Tabak. Wie eine Fata Morgana zerrannen die geträumten Genüsse und zerplatzten in der Realität, wie bunte Seifenblasen.

Nun blickten wir stumm auf einen liebevoll gedeckten Tisch mit Schwarzbrot, Rosinenweißbrot und Rübenkraut. Maria hatte ein Stück Butter aufgetrieben und Heinrich war es gelungen, geräucherten Speck und ein wenig Kochwurst von einem benachbarten Bauern zu besorgen. Heute war Feiertag – extra für mich! Während meiner langen Krankenhauszeit hatte ich mich nicht um den alltäglichen Existenzkampf kümmern müssen, denn das Hospital, das von der Caritas geleitet wurde, erhielt genügend Lebensmittelrationen aus der umliegenden Landwirtschaft.

Anderen ging es nicht so gut. Die Zeitungen waren übervoll mit Firmenzusammenbrüchen und berichteten über die Massenarbeitslosigkeit. Sogar Banken wurden geschlossen. Die Welt stand wirtschaftlich am Abgrund. Bei sechs Millionen Arbeitslosen nahmen Kriminalität und Armut sprunghaft zu.

Die Bevölkerung hungerte, war verzweifelt und suchte nach Auswegen. Die schmalen Gesichter waren von Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Ältere Menschen bekamen keine Arbeit mehr, und die jüngere Generation musste jede Arbeit annehmen, die sich ihr bot, um dem Hunger und der Obdachlosigkeit zu entgehen.

Oftmals war ein Freitod einziger Ausweg aus der existenziellen Not. Zum Überlebenskampf gehörten Heimarbeit, Hausieren und Tauschgeschäfte. In den Großstädten häuften sich die Unruhen und oft galt die Prostitution für viele Frauen, als letzter Ausweg um zu Überleben.

Hier auf dem Lande hatte jeder wenigstens ein kleines Stückchen Erde, das er bewirtschaften konnte. So schien das Überleben ein wenig leichter zu sein, weil man Gemüse und Kartoffeln selbst anbauen konnte. Obst war ebenfalls durch eigenen Anbau vorhanden, und Fleisch bekam Josef ab und zu durch Malerarbeiten von den Bauern im Umkreis. Doch auch hier wuchs die Armut, und die Tagelöhner, die vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, arbeiteten gewöhnlich zehn bis zwölf Stunden am Tag für einen Hungerlohn.

Zwischen den weiten Feldern des flachen Niederrheins hindurch, ziehen sich die alten römischen Heerstraßen, über die vor langer Zeit bereits die Legionen Cäsars stampften.

Manche der schnurgeraden Landstraßen sind jedoch erst unter Napoleons Herrschaft entstanden. Als darauf französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 in das Ruhrgebiet einmarschierten, leistete die Bevölkerung erbittert Widerstand gegen das teilweise brutale Vorgehen des Militärs. Unaufhaltsam setzten die fremden Mächte ihren Marsch mit schweren Schritten immer weiter auf deutscher Erde fort und besetzten den Niederrhein, um die Reparationsleistungen für den ersten Weltkrieg einzufordern. So wurde die deutsche Wirtschaft schließlich durch die Absperrung des Ruhrgebietes und wegen anhaltender Streiks und Produktionsausfälle ruiniert.

Die Bevölkerung zahlte ihren bitteren Zoll und musste die Gürtel noch enger schnallen. Nun hungerte auch die Landbevölkerung, denn sie hatte den Großteil ihrer erwirtschafteten Güter an die Besatzer abzugeben.

Wo man sich sonst mittags gegen vier Uhr mit allen Hausgenossen bei Tisch zusammenfand, um reichlich Kaffee mit Butterbrot zu sich zu nehmen, stand man vor leeren Vorratskammern. Es gab an Stelle von Brot nur Mehlsuppe und ab und zu schlecht schmeckenden Kaffee-Ersatz.

Als bitterer Nachgeschmack verblieb ein gesteigerter Franzosenhass in den Köpfen der Einheimischen, und eine allgemeine Fremdenfeindlichkeit brannte sich tief in die leidgeprüften Gemüter ein, die Hunger und Not nicht vergessen konnten. So folgte man willig den neuen Parolen, die bessere Zeiten und Arbeit versprachen, und die Mühlen des Hasses drehten sich schneller und schneller.

Kinder des Lichts

Wie ein See, mit tausend Glitzerwellen,
spiegeln sich die Himmel, sternenfunkelnd,
wo des Lichtes unbekannte Quellen,
strömen zu den Taten, die verdunkelnd,
in den leidgeprüften Unbelehrten,
den von Hass Gequälten, tief Gesunkenen,
die sich falschen Lehren nicht erwehrten,
die an Mächte dunkler Welt Gebundenen.

Schwere Lügen und Gewalt vereint,
Schuld, verband sie und die Lust
liegt auf ihnen, dicht und schwer wie Stein.
Dämonisch schlägt das Herz in ihrer Brust.

Freuden dieser Welt darfst du nicht trauen,
reich dem die Hand, der übers Wasser lief.
Dein Auge sei in Seinen, mit Vertrauen,
hör, wie Er lang schon deinen Namen rief.

Schau nicht zurück! Das schönste Glück auf Erden
ist nichts, nur Last, wie Lust und Geld.
Drum mach dich frei, nur dann kann Liebe werden,
wenn Er die Schatten nimmt, den Kindern dieser Welt.

Trauer dieser Welt

Göttliche Segenswünsche:
William Adolphe Bouguereau 1825-1905

Die Trauer dieser Welt,
ich will sie tragen
und fern in alle Winde streuen,
ich will sie an den dunklen Tagen,
mit hellem Himmelslicht erfreuen,
will ihr ein Lächeln zaubern,
wenn heiße Tränen rinnen
und durch Verzweiflungsmauern
den Zweig der Hoffnung bringen,
will nie den Mensch vergessen,
tief sitzt sein Weltenschmerz,
drum pflanz’ ich statt des Leidens
nur Liebe in sein Herz.

Keramikflies Quelle: Wikipedia

Kosenamen

Als man mir Kosenamen gab,
war ich klein, in Vertrauen gebettet,
doch die Welt ist gemein, das Namensgrab
hat mich nicht vor Schlägen gerettet.

Vater und Mutter erlebte ich staunend,
wie ein Pionier im Niemandsland.
Eine Vielzahl von Leuten, Wörter ‚raunend‘,
trugen Fragen in meinen Kinderverstand.

Der Faktor „Niedlichkeit“ stand fürwahr
meiner Größe ‚ins Gesicht‘ geschrieben.
Ein Pummelchen (mit lockigem Haar),
…ist leider im Alter geblieben.

Ich hatte mir eine Scheinwelt erbaut,
aus Luftschlössern und Träumen,
mein Himmel hat darüber geblaut,
mit Sonnenstrahlen und Bäumen.

Es gab kaum Entbehrung, manch kleines Leid,
es gab Blumen, Tiere und Lieder,
das Leben war Glück und Fröhlichkeit,
die Menschen, ehrlich und bieder.

Meine Welt war komplett ein Zweckverband,
blieb unverstanden im Herzen,
das Leben, in dem ich mich wiederfand,
schien lieblos, voll Seelenschmerzen.

So stürzte es ein, das erträumte Glück,
die vertraute Welt brach zusammen.
Ich begrub unter Trümmern vom Himmel ein Stück,
konnte hier keine Liebe empfangen.

Universum

Fraktal: Karin M.

Unendliche Kreation
aus Energie und Materie.

Vor Äonen von Jahren
geschaffen aus Od, Klang und Licht.
Wunder der Ordnung.

Vollkommene Reinheit.

Dehnung und Weite.
Werden und Vergehen.
Apokalyptisch dein Ende.

Licht über Chaos und Finsternis,
vergeistigst, verdichtest, gebierst.

Herr über Leben,
nimmst dem Tod den Stachel.

Bahnhof Absurdistan

Die Europabrücke Bahnhof Saint Lazare in Paris – Claude Monet (1840-1926)

Willkommen im Bahnhof Absurdistan!
Hier halten Züge der Zukunft an,

sind menschenleer und leer das Gleis,
und jedes Abteil ist grau und verwaist;

aus dem Fenster starrend, ohne Ton,
schaut ein Geist in die leere Situation.

Die Züge bewegen sich wie im Traum,
so lautlos, wie die Blicke, die sie beschau‘n.

Sie fahren ins Nichts und halten alsdann.
Für wen? Da sind weder Frauen, Kinder, kein Mann.

Die Lautsprecher schweigen im grausigen Nichts,
als wär es die Zugfahrt des Jüngsten Gerichts.

Der Tod ist der Führer des letzten Gefährts,
mit geistiger Fracht fährt er, kalt, ohne Herz,

und die Stationen, die er befährt,
sind den Begriff „himmlisch“ nicht annähernd wert.

Antrieb des Zuges ist Resignation,
fuhr Freude am Leben doch lang schon davon.

Was Menschen erschaffen, wird Staub in der Hand,
sie glauben, ihr Zug fährt ins Niemandsland.

Sind sie Zufallswesen, nur Körper, nichts mehr?
Die Energie des Lebens, wo kommt sie her?

Führt weit sie im Leben der Wissensdrang,
beendet ein Schicksal den geistigen Wahn,

denn den kurzen Weg zum wahren Ich,
geht man erst, wenn man sieht, dass die Brücke bricht.

Man entdeckt im menschlichen Seelenschrein,
auf der Zugfahrt des Lebens sind wir nicht allein.

Der Körper, ein Tempel, wo ein Heiligtum wacht,
Gottes Odem löst, bis es in Liebe vollbracht.

Mein Kind wir waren Kinder

Text: Heinrich Heine, Interpreten: Zupfgeigenhansel

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen ins Hühnerhäuschen,
Versteckten uns unter das Stroh.

Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei –
„Kikereküh!“ sie glaubten,
Es wäre Hahnengeschrei.

Die Kisten auf unserem Hofe,
Die tapezierten wir aus,
Und wohnten drin beisammen,
Und machten ein vornehmes Haus.

Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zum Besuch;
Wir machten ihr Bückling‘ und Knickse
Und Komplimente genug.

Wir haben nach ihrem Befinden
Besorglich und freundlich gefragt;
Wir haben seitdem dasselbe
Mancher alten Katze gesagt.

Wir saßen auch oft und sprachen
Vernünftig, wie alte Leut‘,
Und klagten, wie alles besser
Gewesen zu unserer Zeit;

Wie Lieb‘ und Treu‘ und Glauben
Verschwunden aus der Welt,
Und wie so teuer der Kaffee,
Und wie so rar das Geld! —

Vorbei sind die Kinderspiele,
Und alles rollt vorbei –
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb‘ und Treu‘.