In seinem Garten

Kastanienbaum in Oberursel – Hans Thoma (1839-1924)

In seinem Garten wandelt er allein;
in alle Bäume gräbt er immer wieder
gedankenschwer den einz’gen Namen ein,
und in dem Namen klagen seine Lieder.

Sanft blaut der Himmel, milde Rosen webt
die Sommerzeit durch mächt’ge Blättermassen.
Er schaut sie nicht; die Zeit, in der er lebt,
ist alt, verblüht, von allen längst verlassen.

Storm, Theodor
(1817-1888)

Seelenflüge

Louise Janmot (1814-1892)

Die Seele öffnet ihre Flügel, wenn sie liebt.
Hebt alle Erdenanker, treibt im Meer des Sehnens,
und so, wie Sommerwolken über Wellen schweben,
treibt sie bis an die fernsten Weltenenden
im Strom der Leichtigkeit dem Liebenden entgegen.

Der Ruf der Seele sucht das Ohr des andern,
der einsam und allein am fernen Ufer stehend wartet
und voller Angst den Weg zurück nicht findet.
Dazwischen sucht die Woge des Vergessens
im Strom verflossener Zeit Vergangenes zu lösen.

Die Seelenflügel sind im Liebesfluge weit gebreitet.
Sie suchen Herzensbrücken über Abgrundtiefen
auf neuem Grund zu bauen, in Liebe fest verankert,
den bodenlosen Strudel fliehend.
Nur, wenn man liebt, dann hat die Seele Flügel.

Untragbar

Dein Blick war mir das hellste
Licht auf dieser Welt,
du nahmst es fort,
ich trieb allein im dunklen Raum,
und meine Liebe zu dir,
die mich unlösbar in Fessel stellte,
war stark, wollt‘ Früchte tragen
wie ein Baum.

Doch du beschneidest ihn,
lässt ihn nicht blühen.
Er fragt das Jahr: „Wann wird es Frühling sein?“
Die trüben Himmel sind stets über ihm,
es bleibt die Kälte, und er steht allein.

Auch, als ich meine Hände nach dir streckte,
so wie der Baum zum Himmel sein Geäst,
so bleibst du fern, bist unerreichbar fort,
bist wie ein Schatten, der kein Leuchten lässt.

Nicht lange hielt das Liebesband
uns sanft umschlungen,
unlösbar schien es – trennend war die Zeit.

Ich lebte zwischen Sehnsuchtsleid
im Taumel, hoffend, wartend,
und täglich sind es die Erinnerungen
an jene Stunden,
als wir weltvergessen, voller Liebe,
einander in die Herzen lauschten
und Liebe dort,
so wie ein sanftes, frisches Windesrauschen,
ein Frühlingsweben in die Seelen schrieb:
Ich hab dich lieb!

Der Geist dieses Ortes

Genius loci in Weimar

aus Werthers Leiden von Johann Wolfgang von Goethe,
Zeichnung von Friedrich Bold

Es gibt einen Ort dessen Schwingung
erstrahlt mir so rein wie Kristall.
In seinen Facetten, da spiegelt
sich dein Geist noch ein letztes Mal.

Spür’ noch deinen Arm, deine Blicke,
die heller erstrahlten als Licht.
Warst mir der Schönste zum Glücke,
erhaben, dein Geist, dein Gesicht.

Als leise im Frühlingserwachen
dein Mund mich zärtlich berührt,
da hab ich auf heißen Wangen
den Hauch deiner Liebe gespürt.

In unseren Herzen lag Frieden,
Glückseligkeit gab uns Geleit,
doch blühten die Herbstzeitlosen
uns lange schon vor der Zeit.

Das Schicksal, es streute uns Rosen,
doch der Geist unsrer Liebe trieb fort.
Vorbei ist das Streicheln und Kosen,
die Blüten, zertreten, verdorrt.

Das Leben hat alles genommen;
dein Geist ist so fern mir, so weit.
Nun ist der Winter gekommen –
du hast dich von mir befreit!

Verwoben

Fotograf unbekannt

Der Raum – erfüllt von dir,
und wenn ich meine Augen schließe, bist du hier.

Ich fühle deinen Atem noch an meiner Wange,
und deine starke Hand hält mich noch lange,

auch wenn es nicht in Wirklichkeit geschieht,
du bist noch hier, doch deine Schwingung flieht,

und schon nach kurzer Zeit geht sie dahin,
doch bleibst du tief in Seele mir und Sinn.

Das Schicksal hat uns für die Ewigkeit verwoben,
es scheint, als hätten Engel uns ins Licht gehoben.

Ein Teil von mir bist du, das ich nicht missen will,
an deinem Herzen werd ich ruhig und still.

So gern würd‘ ich die Zukunft für dich sein,
denn nur ein Tag mit dir fängt mir die Sonne ein.

Seelenleuchten

The Kiss – Silvio Allason (1845-1912)

Es war im Blicke seiner Augen,
ein Funken von Verbundenheit;
an wahre Liebe wollt‘ ich glauben,
an Feuer in der Dunkelheit.

Da war ein Leuchten unsrer Seelen,
etwas ergriff mein ganzes Herz,
es schien vom Boden mich zu heben
und gleichsam zog es voller Schmerz.

Es waren kurze Glücksmomente,
ein Losgelöst sein von der Zeit.
Des Glücks Sekunden sind zu Ende,
Erinnerung beschwert mein Herz.

Wieder ist Frühling! Aufgewühlt,
geht weit zurück ein altes Hoffen.
Nie wieder hab ich so gefühlt!
Kein Herz schien mir so nah und offen.

Durchlebte Zeit

„Träumerei“ Gemälde von Franz Guillery (1863-1933)


Wie schnell die Zeit läuft,
wenn du bei mir bist,
wie sie zu stehen scheint,
wenn du mich küsst.

Wenn deine Lippen sanft auf meine Hände gleiten,
dann ist es so,
als würden die Sekunden schleppend schreiten
und sich nur zögernd mit den Strömen der Vergänglichkeit verbinden,
als müssten unsre Seelen sich in ihren Tiefen wieder finden.
Nur unsre Liebe hilft uns aus dem irdischen Geschehen,
hinüber in die zeitenlose Dimension zu gehen.
Wenn unsre Geister sich im Über-All verbinden,
dann werden wir uns in den fernen Himmeln wieder finden,
die wir verlassen mussten schon vor Ewigkeit;
nun fanden wir uns auf der Erde wieder,
hier und heut.

Wenn mir dein Augen-Blick wie ein Versprechen scheint,
das uns nicht erst in der Unendlichkeit vereint,
dann werden mir die Tage lang und endlos scheinen,
und in der Zeit des Wartens werd‘ ich bittre Tränen weinen.

Du gabst mir nichts,
nur deine Liebe gabst du, deinen lieben Blick,
doch brachtest du mir das Elysium in diese graue Welt zurück.
Gib mir die Hand für eine lebenslange Reise durch die Zeit,
sag niemals, unsre Liebe sei Vergangenheit.

Selbst befreit

Károly Brocky (1807-1855)- Schlafender Bacchant

So, wie ein Hauch
im Fluss der Zeit verdunstet,
gelöst, gelöscht die Spur,
die tränenreich verschwamm.
 
So trieb der Rauch,
der lichtlos sich verdunkelt,
aus meiner Hölle hoch empor,
als Glut noch glomm.
 
Was bleibt zum Schluss?
Ein Nicht-Verstehen,
Vertrauensbruch und Schmerz,
der tief begraben in der Grube ruht.
 
Doch weckt man ihn,
zerreißt es mir das Herz,
und aus dem Rauch
und aus der Asche steigt die Wut.
 
Es gab kein Wort,
kein Abschied…letzte Blicke.
Erklärung suchend
deute ich den Schluss.
 
So wende ich mich ab,
ertrag die Tritte,
von dem, der „rein“ zu sein schien,
mit Verdruss.
 
Benutzt, gedemütigt, verworfen,
verletzt, verstoßen – längst bereut.
Verbrannt im großen Höllenofen
der Fehler…schließlich selbst befreit.
 

Zauberschleier

Der Morgen – Caspar David Friedrich (1774-1840)

Verhüllt liegt unsre Zukunft, weltverborgen,
und um uns webt der lichte, helle Morgen,
die weißen Zauberschleier in den Tag.

Am Abend wirft die Nacht die langen Schatten
und legt sich auf des Tages Lasten nieder;
leise raunt die Natur die alten Lieder,
auf den Rabatten.

Die Weise, die erklingt, so fern der Nöte,
sie schwebt zum Wohle aller durch die Nächte,
als ob sie allem Übel Tröstung böte
und Freunde brächte.

Wer hoffend lauscht, den wird der Segen finden,
er eilt von Herz zu Herz, wie ein Gebet.
Den rechten Weg, wirst du ergründen,
wenn deine Seele es erfleht.

Wenn du die Liebe fühlst, so ganz durchdrungen,
dann öffnest du dich deinem Gott in dir.
Folge der Stimme, voll Vertrauen, unumwunden,
öffne die Tür.

Getrennte Wege

Der lange Weg, er teilt sich in der Mitte
Und jeder Abzweig strebt ins Nirgendwo.
Du wähltest deinen Weg, mit festem Schritte,
längst bist du weit von mir, im Irgendwo.
 
Hast ein Kleinwenig noch am Horizont gestanden.
Hast deinen Kopf nach mir gewandt ein letztes Mal.
Als meine Hoffnungen mit dir im Nichts verschwanden,
hab ich geweint in langer, stiller Qual.
 
Du ließest mich zurück. Im Alltagstreiben
war mir dein Leben völlig abgewandt.
Wenn tausend Dichter ‚schön’ von Liebe schreiben,
dann haben sie die unsre nicht gekannt!
 
Was mir ein Glück zu sein schien, war kein Segen,
es war nur Illusion, ein Tränenhort.
Die spülten wie ein sintflutart’ger Regen
all unsre Herzverbundenheit hinfort.
 
Die ‚kalten’ Augen wähltest du! Die warmen
sind doch längst trüb geweint, vom Gram ganz alt. 
Du lässt dich von Erinnerung umarmen
und willst nicht sehn: Die Gegenwart bleibt kalt.
 
Noch fühlen wir Gedanken. – Sie vergehen!
Erinnerung verblasst – der Weg ist weit!
Und unsre Liebe blieb am Wegkreuz stehen,
bald liegt sie tief unter dem Schnee der Zeit.