Kleiner Mann ganz groß

Alles, was des Kaisers ist,
hat der kleine Mann errungen,
hat mit seiner eignen Kraft
tatenreich das Land bezwungen.

In die Widrigkeit des Lebens
tauchte er bis auf den Grund,
führte Kämpfe mit sich selbst,
Hoffnung machte ihn gesund.

Gebt dem Kaiser, was sein eigen? -
Gott, was Gottes steht geschrieben!
Sind wir denn nicht Seine Kinder,
müssten uns nicht selber lieben?!

Pfui der Welt mit ihren Herrschern
und dem Widerstreit der Pflichten!
Muss der Mensch denn alles dulden?
Schreit es laut heraus: „Mitnichten!“

Kodex-Sammlung: dick und dicker.
In des Zweifels Finsternissen
spricht in uns in klarer Stimme
kein Gesetzbuch ins Gewissen.

Liebe als Gesetz des Wandels
trägt uns durch die wirren Zeiten;
scheinen nur noch dunkle Flecken -
Herrschers Überheblichkeiten.

Das Licht der Welt

Vladimir Kush *1965 – Lichtschmetterling
Ich folg‘ Deinem Ruf seit ewigen Zeiten,
manch endlose Nacht hab ich Deiner gedacht.
Dein Name wird mich in die Zukunft geleiten,
Du hast manchen Sturm mir im Herzen entfacht.

Gesät hast Du Liebe in vielerlei Worten,
gepflanzt wie die Rose, von Dornen befreit.
Geleuchtet hast Du mir an finstersten Orten,
warst Licht mir, hast Blüten auf Wege gestreut.

Durch brennende Welten hast Du mich getragen,
gekühlt von des Windes balsamischem Hauch;
hast Dichterworte in Felsen geschlagen,
bist Sonne mir und Morgenstern auch.

Du sendest Worte mit Wahrheit zum Herzen,
versiegelst sie dort im göttlichen Innen,
erhellst die Fragen mit Wunderkerzen,
gibst meinem Leben ein lichtvolles Sinnen

Braches Land

Seelentief fruchtbar sein,
von ganzem Herzen lieben;
in Brachland ging der Same ein,
nichts ist davon geblieben.

Das Pflänzlein Liebesglück
ist lichtlos eingegangen,
gewunden am Spalier ein Stück
blieb es umklammert hangen.

Verwachsen mit der Gitterwand
hing seine Seele kläglich,
vertrocknet war es, sein Gewand
verdurstet, nicht erträglich.

Ein Stück des Herzens ging dahin,
riss ab, vom Leid getrieben;
das, was voll Liebe zu Beginn
ist unfruchtbar geblieben.

Dornen

John William Waterhouse (1949-1917)

So wie des Pflückers Zoll die blut’gen Hände,
wenn er die stolze Rose bricht,
so ist der Trennungsschmerz am Ende
des Lebens auf dem Weg ins Licht.
 
Dann bist so schmerzlich du umfangen,
fühlst dich alleine ohne Sinn,
hältst zur bereits geschlag’nen Wange
dem Schicksal noch die andre hin.
 
Du klammerst dich an die Sekunden,
am Ende bricht dein letzter Blick,
und hast du Traurigkeit empfunden,
tauchst du nun ein in lichtes Glück.
 
Musstest im Kampfe unterliegen,
als Sieger trittst du nun hervor,
gekränzt mit dornenlosem Frieden,
der Rosen dort am Himmelstor.

Nun, da die Frühlingsblumen wieder blühen

von Wilhelm Busch

Die Genesende – Albert Anker (1831-1910)
Nun, da die Frühlingsblumen wieder blühen,
in milder Luft die weißen Wolken ziehen,
denk ich mit Wehmut deiner Lieb und Güte,
du süßes Mädchen, das so früh verblühte.

Du liebtest nicht der Feste Lärm und Gaffen,
erwähltest dir daheim ein stilles Schaffen,
die Sorge und Geduld, das Dienen, Geben,
ein innigliches Nurfürandreleben.

So teiltest du in deines Vaters Haus
den Himmelsfrieden deiner Seele aus.
Bald aber kamen schwere, schwere Zeiten.
Wir mußten dir die Lagerstatt bereiten;

Wir sahn, wie deine lieben Wangen bleichten,
sahn deiner Augen wundersames Leuchten;
wir weinten in der Stille, denn wir wußten,
daß wir nun bald auf ewig scheiden mußten.

Du klagtest nicht. Voll Milde und Erbarmen
gedachtest du der bittern Not der Armen,
gabst ihnen deine ganze kleine Habe
und seufztest tief, daß so gering die Gabe.

Es war die letzte Nacht und nah das Ende;
wir küßten dir die zarten weißen Hände;
du sprachst, lebt wohl, in deiner stillen Weise,
und: oh, die schönen Blumen! riefst du leise.

Dann war’s vorbei. Die großen Augensterne,
weit, unbeweglich, starrten in die Ferne,
indes um deine Lippen, halbgeschlossen,
ein kindlichernstes Lächeln ausgegossen.

So lagst du da, als hättest du entzückt
und staunend eine neue Welt erblickt.
Wo bist du nun, du süßes Kind, geblieben?
Bist du ein Bild im Denken deiner Lieben?

Hast du die weißen Schwingen ausgebreitet,
und zogst hinauf von Engelshand geleitet
zu jener Gottesstadt im Paradiese,
wo auf der heiligstillen Blütenwiese
fernher in feierlichem Zug die Frommen
anbetend zu dem Bild des Lammes kommen?

Wo du auch seist; im Herzen bleibst du mein.
Was Gutes in mir lebt, dein ist’s allein.
Wilhelm Busch (1832-1908)

Sommerzeit

Nur eine Stunde trennt uns vom Realen -
was Menschen tun, ist für die Konjunktur.
Der Aufschwung drückt sich aus in Zahlen,
das treibt uns auf die festgesetzte Spur.

Wir schalten um im Kopf, sind uns bewusst:
Es ist doch nur die Winterzeit zu Ende.
Stehn eine Stunde früher auf, mit Frust
und legen Zeit aufs Konto Sommerwende.

Die Uhren stellt man eine Stunde weiter.
Wer sagt den Tieren was von neuer Zeit?
Die Katzen schlafen noch. Das wird ja heiter!
Ist Zeitumstellung eine Kleinigkeit?

Weltgeschehen

Quelle: Pinterest
Unergründlich deine Rätsel,
Welt, du bleibst uns stets verschlossen,
und obwohl den Wissenschaftlern
viele Dinge sich erschlossen,
huscht der Mensch mit leichtem Sinn,
durch Legenden vom Beginn.

Schreibt über die Weltgewalt’gen,
die verwüsteten die Staaten,
Völker mordeten; doch Frevel
preist man oft als große Taten.
Resümee aus der Geschichte:
traue niemals dem Berichte.

Dummheit ist‘s, den Sturm zu tadeln,
wenn er Mast und Spieren knickte;
stille Wasser strebe an,
wenn den Kiel der Sturmwind drückte.
Wähl die Sanftmut, werd zum Bache -
Seelenheil ist Menschen Sache.

Mensch, bist du gleich Regentropfen,
der aus Feuchtigkeit gewoben,
der gestürzt ins Nichts hier unten
taumelt aus dem Nichts dort oben?
Regen, fruchtbar sei dein Fallen,
wie des Menschen Tat in allem!

Wie lang noch?

Bild: Karin M.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter –
sind millionenfach vergangen;
flüchtig blieben sie, wie Zeiger
an der Uhr des Weltalls hangen.

Drehten langsam ihre Kreise,
und die Jahreszeiten gingen
über die gesetzten Gleise,
ließen die Natur gelingen.

Störte sich nicht an den Dingen,
die um sie herum passierten,
kurz des Lebenswegs Passage,
durch die sie schicklich manövrierte.

Natur – sie holt sich alles wieder,
trotz Menschenwerk und deren Krisen.
Wird es noch Jahreszeiten geben,
wenn alle Zeiger stillstehen müssen?

Aus unsichtbarer Welt

Als ich mit 50 Jahren zu schreiben begann, habe ich dieses Gedicht von meiner geistigen Begleitung empfangen, die immer bei mir ist, wenn ich sie brauche. Ich denke gerne an die Anfänge meines Schreibens zurück. Die Verse habe ich damals ohne nachzudenken notiert. Jedes Wort war ein Geschenk, das ich hier noch einmal veröffentliche.

Sir Edward Burne-Jones (1833-1898), Phyllis and Demophoön

Ich möcht‘ aus deiner Seele lesen,
erfühl’n die Göttlichkeit in ihr,

möchte als unerkanntes Wesen
die Rose sein, vor deiner Tür.

Möchte dich in Gedanken halten,
zum Tanze nah dich wiegend schwingen

und dir die Blume für dein Haar
aus dem verbot’nen Garten bringen;

möchte im Mondschein dich bezaubern,
mit Sternen, die am Himmel tanzen,

dir nur die schönsten aller Rosen
in deine Herzenslaube pflanzen;

möchte dein Narr sein und dein Held,
der treu und schützend dich umgibt,

der dich aus unsichtbarer Welt
bereits seit Ewigkeiten liebt.

Will sanft dich sicher halten,
wenn du zu fallen drohst,

möcht‘ deinen Weg begleiten,
ewig und grenzenlos.

Fernes Leuchten

Oft kreisen die Gedanken wie Planeten, 
um einen Mittelpunkt, der strahlt im Licht;
manchmal lässt uns der Geist um Wahrheit beten,
denn wir erkennen Gut und Böse nicht.

Der Kosmos ist so groß, der in uns klein,
und jeder Stern ist eine eigne Welt -
vielleicht ist schon sein Licht Vergangenheit,
aus einer Zeit, die lange nicht mehr zählt.

Nachts staunen wir,
wenn uns ein Stern am Himmelszelt
sein fernes Leuchten schenkt,
doch wir vergessen ihn in heller Welt,
wenn unser Kopf an andere Dinge denkt.

Im Frühling werden an den Zweigen Knospen sprießen,
als ob sie neu geboren sind;
unzählig wird sich Blütenpracht ergießen
und kurz gelebt, verwehen mit dem Wind.

Auch diese Zeit verweht.
Ihr folgen, die einst neu geboren,
sie blühen und vergehen;
der Kosmos ist so groß und wir in ihm verloren –
wir können nur den kleinen Teil verstehen,

der sichtbar ist und unseren Blick erhellt,
nicht was im Dunkeln liegt und außer Sicht.
Gerüstet schon, mit Wonne zu erblühen,
ist die Natur im hellen Frühjahrslicht.