Frühlingshafte Freudigkeit

Albert Samuel Anker (1831-1910)

Ein Hahnenschrei begrüßte meinen Tag,
als ich noch klein im Bettchen lag.

Ich war noch wie ein leeres Feld,
hineingeboren in die Erden-Welt.

Voll Neugier war ich einst als Kind,
für’s harte Leben unschuldig und blind,

vertrauensvoll, eifrig und klug,
sah nicht der Menschen Fehl und Trug.

Frühling war in mir und das Freuen
auf viele Stunden, die bunten, neuen.

Morgens zog’s mich in den Garten,
wo große Wunder auf mich warten.

Lief hin zu dem hölzernen Gatter,
entzückt vom Entengeschnatter.

Klangfroh war’n die Küken im Glück,
nichts wissend um ihr Geschick.

So, wie im Abendrot verborgen,
sah ich den neuen lichten Morgen,

der still im Sonnenglanz sich kündet,
mit dem so manche Angst verschwindet,

und was mich abends noch bedrückt,
im Tageslicht war’s längst entrückt.

Die Kindheitslieben sind verborgen
unter den tristen Alltagssorgen.

Dinge besser machen, statt bereuen,
unschuldig, dem Licht entgegenfreuen,

so, in diesem Hell geborgen,
eil ich hin zum nächsten Morgen

und genieß in dieser Zeit
frühlingshafte Freudigkeit.

Pfingsten

Allen Besuchern meiner Seiten mit herzlichem Dank!

John William Waterhouse (1849-1917)

Nun schmückt sich zu dem Fest der Pfingsten
mit frischen Blumen jedes Haus,
selbst in den Hütten der Geringsten
sieht’s heute feiertäglich aus.

Die allerärmsten Siebensachen
verklärt ein Hauch von Poesie,
auf frischen Lippen liegt ein Lachen
und eine heitre Melodie.

Da draußen blumenreiche Auen
und Lust und Leben weit und breit
und rings, wohin die Blicke schauen,
nur Glück und Daseinsfreudigkeit.

Und unter all dem Jauchzen, Klingen,
inmitten froher Festtagslust,
da will’s auch mich zum Liede zwingen,
als Dankgebet aus voller Brust.

Marie Paschke-Diergarten
(1870-Sterbedatum nicht bekannt)

Das Licht der Welt

Maler unbekannt

Du bist mir begegnet vor ewigen Zeiten,
manch endlose Nacht hab ich Deiner gedacht.
Dein Name wird mich in die Zukunft geleiten,
Du hast manchen Sturm mir im Herzen entfacht.

Gesät hast Du Liebe in vielerlei Worten,
gepflanzt wie die Rose – von Dornen befreit.
Geleuchtet hast Du mir an finstersten Orten,
warst Licht mir, hast Blüten auf Wege gestreut.

Durch brennende Welten hast Du mich getragen,
gekühlt von des Windes balsamischem Hauch.
Hast Dichterworte in Felsen geschlagen,
bist Sonne mir und Morgenstern auch.

Du sendest Worte mit Wahrheit zum Herzen,
versiegelst sie dort im göttlichen Innen,
erhellst die Schatten mit himmlischen Kerzen,
füllst dunkelste Nächte mit heiligem Schwingen.

Die Kindsmörderin

Die Kindsmörderin – Gabriel Cornelius Ritter von Max (1840–1915)

Von Friedrich Schiller
Die Schreibweise folgt nicht der Schreibweise des Originals

In diesem Gedicht nimmt Schiller Partei gegen den Erzeuger des Kindes,
der die geächtete Mutter nach dem Beischlaf alleine ließ.

Horch – die Glocken weinen dumpf zusammen,
Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf,
Nun, so sei’s denn! – Nun, in Gottes Namen!
Grabgefährten brecht zum Richtplatz auf.

Nimm o Welt die letzten Abschiedsküsse,
Diese Tränen nimm o Welt noch hin.
Deine Gifte – o sie schmeckten süße! –
Wir sind quitt du Herzvergifterin.

Fahret wohl ihr Freuden dieser Sonne
Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Fahre wohl du Rosenzeit voll Wonne,
Die so oft das Mädchen lustberauscht;

Fahret wohl ihr goldgewebten Träume,
Paradieseskinder Fantasie’n! –
Weh! sie starben schon im Morgenkeime,
Ewig nimmer an das Licht zu blühn.

Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen
Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,
In der blonden Locken loses Schweifen
Waren junge Rosen eingestreut: –

Wehe! – Die Geopferte der Hölle
Schmückt noch jetzt das weiß-lichte Gewand,
Aber ach! – der Rosenschleifen Stelle
Nahm ein schwarzes Totenband.

Weinet um mich, die ihr nie gefallen,
Denen noch der Unschuld Lilien blühn,
Denen zu dem weichen Busenwallen
Heldenstärke die Natur verliehn!

Wehe! menschlich hat dies Herz empfunden! –
Und Empfindung soll mein Richtschwert sein! –
Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden
Schlief Louisens Tugend ein.

Ach, vielleicht umflattert eine andre
Mein vergessend dieses Schlangenherz,
Überfließt, wenn ich zum Grabe wandre,
An dem Putztisch in verliebten Scherz?

Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke?
Schlingt den Kuss, den sie entgegenbringt?
Wenn verspritzt auf diesem Todesblocke
Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.

Joseph! Joseph! auf entfernten Meilen
Folge dir Louisens Totenchor,
Und des Glockenturmes dumpfes Heulen
Schlage schrecklich mahnend an dein Ohr –

Wenn von eines Mädchens weichem Munde
Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,
Bohr es plötzlich eine Höllenwunde
In der Wollust Rosenbild!

Ha, Verräter! Nicht Louisens Schmerzen?
Nicht des Weibes Schande harter Mann?
Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?
Nicht was Löw’ und Tiger milden kann?

Seine Segel fliegen stolz vom Lande,
Meine Augen zittern dunkel nach,
Um die Mädchen an der Seine Strande
Winselt er sein falsches Ach! – –

Und das Kindlein – in der Mutter Schoße
Lag es da in süßer, goldner Ruh,
In dem Reiz der jungen Morgenrose
Lachte mir der holde Kleine zu,

Tödlich lieblich sprang aus allen Zügen
Des geliebten Schelmen Konterfei;
Den beklommnen Mutterbusen wiegen
Liebe und – Verräterei.

Weib, wo ist mein Vater?, lallte
Seiner Unschuld stumme Donnersprach,
Weib, wo ist dein Gatte?, hallte
Jeder Winkel meines Herzens nach –

Weh, umsonst wirst Waise du ihn suchen,
Der vielleicht schon andre Kinder herzt,
Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,
Wenn dich einst der Name Bastard schwärzt.

Deine Mutter – o im Busen Hölle! –
Einsam sitzt sie in dem All der Welt,
Durstet ewig an der Freudenquelle,
Die dein Anblick fürchterlich vergällt,

Ach, in jedem Laut von dir erwachet,
Toter Wonne Qualerinnerung,
Jeder deiner holden Blicke fachet
Die unsterbliche Verzweifelung.

Hölle, Hölle wo ich dich vermisse,
Hölle wo mein Auge dich erblickt,
Eumeniden-Ruten deine Küsse,
Die von seinen Lippen mich entzückt,

Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,
Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,
Ewig – hier umstrickte mich die Hyder; –
Und vollendet war der Mord –

Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
Jage dir der grimme Schatten nach,
Mög mit kalten Armen dich ereilen,
Donnre dich aus Wonneträumen wach,

Im Geflimmer sanfter Sterne zucke
Dir des Kindes krasser Sterbeblick,
Es begegne dir im blutgen Schmucke,
Geißle dich vom Paradies zurück.

Seht! da lag es – lag im warmen Blute,
Das noch kurz im Mutterherzen sprang,
Hingemetzelt mit Erinnys Mute,
Wie ein Veilchen unter Sensenklang; – –

Schrecklich pocht schon des Gerichtes Bote,
Schrecklicher mein Herz!
Freudig eilt’ ich in dem kalten Tode
Auszulöschen meinen Flammenschmerz.

Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,
Dir verzeiht die Sünderin.
Meinen Groll will ich der Erde weihen,
Schlage Flamme durch den Holzstoß hin –

Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,
Seine Eide frisst ein siegend Feu’r,
Seine Küsse! – wie sie hochan lodern! –
Was auf Erden war mir einst so teu’r?

Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,
Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
Schönheit war die Falle meiner Tugend,
Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! –

Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?
Schnell die Binde um mein Angesicht!
Henker kannst du keine Lilie knicken?
Bleicher Henker zittre nicht! – – –

Wikipedia deutet folgendermaßen: „Louise ist sich ihrer Schuld sicher, aber der wahre Mörder ist die Liebe, ein Paradox.“

Das sehe ich anders: Zeitgeist, Begehrlichkeiten und Leidenschaften dieser Welt sind die wahren Mörder. Liebe kann niemals Mörder sein!

Goethe war der Vorfall, den Schiller beschreibt, bekannt. Er arbeitete 1772 als Rechtsanwalt in Frankfurt a. M., seiner Heimatstadt. Susanna Margaretha Brandt wurde wegen Kindesmord 1772 mit dem Schwert hingerichtet. https://www.youtube.com/watch?v=mm5ElyuPkHc

Goethe selbst nahm in „Dichtung und Wahrheit“ zu dem Vorgang nicht Stellung, sondern berichtete lediglich in knapper, distanzierter Form: „Bald setzte ein entdecktes großes Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe.“ Er selbst nahm ihre Geschichte als Vorbild für den „Urfaust“.

Im Falle der im Jahre 1783 hingerichteten Dienstmagd Johanna Catharina Höhn, die ebenfalls ihr Kind getötet hatte, geht die Forschung mittlerweile davon aus, dass Goethe – gegen die Intention des Herzogs Karl August – die Todesstrafe befürwortet hat, die in Weimar vollstreckt wurde.

Meinem Sohn

Mein Sohn auf meinem Arm im Dezember 1981


Wie gerne würd’ ich dich beschützen,
dich weiter tragen durch dein Leben,
doch würde es dir wirklich nützen,
könnt’ ich dir ständig Hilfe geben?

Du drehtest aufstieglos im Kreise,
weil du nicht wächst und nicht veränderst,
und deine wohl bequemen Gleise
nicht in die richt’ge Richtung wendest.

Kein Ehrgeiz drängt dich, keine Kraft,
die dir die Stärke gibt zum Handeln;
doch nur dein eigner Wille schafft
den Aufstieg, wird dein Schicksal wandeln.

Ich wünsch’ dir Glück und Gottes Segen,
für alle Schritte, die du gehst.
Fang’ endlich an zu überlegen,
wie du dein eig’nes Leben lebst!

Dieses Gedicht habe ich geschrieben, als mein Sohn ca. 20 Jahre alt war.
Er entzog sich gerne der deutschen Ordnung. Das war nicht sein Naturell. In einer Welt des ständigen Drucks wollte und konnte er nicht leben. Er war hochsensibel, nahm immer Rücksicht auf andere, und als er Ende 2019 mit
37 Jahren starb, ging er auf ‚seine‘ Ebene zurück.

Als ich Ende des letzten Jahres im Krankenhaus war, träumte ich von ihm
und dieser Ebene zum Jahreswechsel. Ich hatte noch nie einen Traum, in dem
alles eine schwarze Färbung hatte. Jede Straße, jedes Haus, ja sogar der Himmel
waren schwarz. Ich kam an ein großes, offenes Tor. Dahinter existierte mein Sohn.

Er trug schwarzes Leder als Mantel, Hose und Hemd. Um ihn herum waren große Blütengesichter, ebenfalls schwarz, die sich öffneten und dann wieder
verschwanden. Es gab dort viele Tiere. Mein Sohn war allen bekannt und
guter Dinge. Ich sah, wie er mit einem schwarzen Panther spielte. Den hatte
er sich zu Lebzeiten immer gewünscht.

Dann erschien eine Art Spielbrett. Darauf sah ich zum ersten Mal in diesem Traum eine farbige Position, als kleine Filmeinlage: Eine Frau, die damit beschäftigt war, Ordnung in ihren Unterlagen zu schaffen. War ich diese Frau? Plötzlich zerplatzte das Bild und mir wurde bewusst, dass Ordnung eine Lernaufgabe für meinen Sohn gewesen ist.

Auf seiner Ebene brauchte er das nicht mehr. Alles war für ihn gut.
Dann verabschiedete er sich von mir, und wir standen noch lange am Tor und
umarmten uns. Es gab einen Abschiedskuss, und ich ging den schwarzen Weg
entlang, zurück in meine Welt, wo ich erwachte.

Dieser Traum hat mir sehr gut getan, weil ich weiß, dass es meinem Sohn an
nichts fehlt. Meine Liebe hat er gewiss!

Trübsinn und Zweifel

Baron Frederic Leighton (1830-1896) – Solitude

Wann wird es sich ändern, das unstete Treiben?
Das Sitzen und Warten – so kann es nicht bleiben!

Nur Trübsinn und Sehnen nach besseren Zeiten,
wie lästige Fliegen, die mich begleiten;

wohin ich mich wende, nur kreisende Stille,
ein Vakuum, luftleeres Zeugnis der Fülle;

es ist wie es ist, nichts bringt es zum Ende.
Es gähnt mir entgegen die Kahlheit der Wände

und treibt mir das Grausen in meine Gedanken:
Die Taten so gräulich, wer bringt mich zum Wanken?

Wer trübt mir im Innern mein blankes Vertrauen?
Auf welchen Menschen kann ich noch bauen?

Wo blieb meine Zuversicht und meine Stärke?
Welch‘ Dramaturg spinnt hier finstere Werke?

Oh Gott, füll’ mich mit christlichem Licht
und nehm‘ mir die Kälte aus Geist und Gesicht,

möcht‘ wieder fühlen die Wärme und Kraft,
erleuchte mit Liebe mein Dunkel der Nacht!

Verwoben

Fotograf unbekannt

Der Raum – erfüllt von dir,
und wenn ich meine Augen schließe, bist du hier.

Ich fühle deinen Atem noch an meiner Wange,
und deine starke Hand hält mich noch lange,

auch wenn es nicht in Wirklichkeit geschieht,
du bist noch hier, doch deine Schwingung flieht,

und schon nach kurzer Zeit geht sie dahin,
doch bleibst du tief in Seele mir und Sinn.

Das Schicksal hat uns für die Ewigkeit verwoben,
es scheint, als hätten Engel uns ins Licht gehoben.

Ein Teil von mir bist du, das ich nicht missen will,
an deinem Herzen werd ich ruhig und still.

So gern würd‘ ich die Zukunft für dich sein,
denn nur ein Tag mit dir fängt mir die Sonne ein.

Feines Glühen

Beschütztes Leben – Sulamith Wülfing (1901-1989)

Es ist so still geworden um mich her,
des Lebens Enge drückt, wie Einzelhaft.
Bin eine alte, unsichtbare Kraft,
ein kleines Ich, bin Flamme nur, nicht mehr.

Entzünden mag ich nur Gedankensplitter;
bin irdisch, Energie, mit Licht getauft,
nur noch ein feines Glühen, das verbraucht,
bild‘ ‚Schwarze Löcher‘ im Gefängnisgitter.

Vergangenheit ist leere, hohl geword‘ne Form,
die Schatten wirft, obwohl sie lange fort.
Ihr Einfluss folgt mir bis zum Zukunftsort,
wo Gegenwart beständig wird zur Norm.

Erkenntnisse, ich trag sie durch mein Leben,
obwohl befreiend, nehmen sie mir Kraft.
Wie Einer, der sich auf den Heimweg macht,
bin ich der Wanderer hier auf fremden Wegen.

Doch eines Tages bin ich Heimgekehrte,
was mich hier hindert, bin ich selbst.
Setz‘ Schritt an Schritt, auch wenn du fällst!
Erkenntnis ist Befreiung, seid Belehrte!

Erhabenheit im Augenblick des Glücks
ist das Erkennen unsres Geistes Licht.
Dann huscht ein Leuchten über das Gesicht;
im Reich des Lichtes gehn wir dann ein Stück.