Abendstimmung

Gemälde: Caspar David Friedrich (1774-1840), Gemälde „Abendengel“: Alexandre Cabanel (1823-1889)

Wenn die Sonne kraftlos in das Meer versinkt
und mit letztem Glanze Abendstimmung bringt,
deckt die Welt sich zu, mit Sehnsuchtsschleiern,
und der junge Abend ringt in stillen Feiern
mit des Tages letztem Atemzug;
abgestreifte Hektik dieser Zeit –
tiefe Ruhe, Frieden, Einsamkeit.
Nur noch Schweigen ringsumher,
und die Schatten huschen durch das Meer
letzter Taggedanken.

Buchstabenperlen

Louis Janmot (1814-1892) – Das Gedicht der Seele

Des reinen Geistes Sinn wird offenbar,
webt aus Gedanken edler Verse Reim,

Vokabular, wie gold‘nes Engelshaar,
verflochten mit der tiefen Liebe Keim,

Buchstaben-Perlen, leerer Seiten Zier,
sie reih’n sich Wort an Wort mit Poesie,

dringen tief in dein Sein, verweilen hier,
wie eine Seelensinfonie.

Worte

Bild: Karin M.

Der wortgewandten Redner gibt es viele,
doch sind’s oft leere Blasen,
die aus ihren Mündern strömen,
und die zerplatzen dort mit lauten Tönen.

Doch gibt es jene Worte,
die die Welt verändern,
weil sie selbst in den fernsten Ländern
und in den taubsten Ohren
wie ein Ave Maria klingen,
denn sie zerplatzen nicht,
sie singen.

Blütenträume


Blumenreichen Weg zu gehen,
wie auf Elfenschwingen, leicht,
Fröhlichkeit mit leisen Tönen,
die in lichte Höhen reicht.

Sanfte Geigen, die verwöhnen,
schmeicheln sich in Leib und Sinn,
um den Wanderweg zu schönen,
den wir gehn seit Anbeginn.

Bunte Wiesen voller Blumen,
voller Summen und Gesang,
darauf möcht‘ ich ewig wandeln,
niemals müd‘ und niemals bang.

Bette unter meinen Füßen
weiches Moos dem Pilgergang,
dass ich wie auf Wolken wandle.
Wiese, blüh‘ ein Leben lang!

Seele im Garten Eden

Durch Zweifel kommen wir zur Wahrheit
Tarotkarte „Der Eremit“

Das Ego ist der Herrscher deiner Seele,
der Glaube an das Ich, dein Selbstvertrauen,
Bewusstsein, deines Lebens Öllaterne,
Erleuchtung zündend am Erkenntnisbaum.

Aus hoher, hehrer Sphäre der Gedanken,
füllst du die Früchte deiner Wahl ins Füllhorn ein,
dort wächst beseelter Same an den Ranken
und lässt das Fühlen dir erquickend sein.

Du bildest deinen eignen Garten Eden,
hervorgebrachte Pracht und Harmonie,
dort, so von Gott erfüllt, auf allen Wegen,
beherrscht die Demut dich und Fantasie.

Das letzte Kapitel

Am zwölften Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen lässt,
als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck,
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck,
man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen,
keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall, es schlich wie auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang, und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten,
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte
völlig beruhigt ihre bekannte elliptische Bahn.

Erich Kästner (1899-1974)

Gedanken

Foto: Gisela Seidel

Den nahen Sommer freudevoll erwarten,
wo jede Seele ist des Denkens Garten,
man zwingt es nicht, es muss von selbst erblüh‘n,
ein stetes Werden, Kommen und Vergeh’n.

Gedankenfreiheit grenzenlos!
Du darfst die Blumen deiner Seele pflanzen,
setz‘ sie nach göttlichen Gesetzen, erdentief,
und pflück‘, dem Guten dienend, sie im Ganzen.

Der alte Baum

Foto: Mariamne, Pixelio.de

Ein alter Baum, der sich gen Himmel streckt,
zu dessen Krone Zweig an Zweig sich binde,
der unter dunkel, harter Borkenrinde
die Ringe seiner Jahre wohl versteckt.

In hundert Jahren wird er noch hier stehen,
wenn sich die Zeit schon lang gedreht
und neuer Geist durch Land und Köpfe weht,
hat er so manchen Sturm gesehen.

Sein Laub singt uns im Wind die alte Weisen,
von Liebesglück und Leid, das er geschaut,
und nur ein winzig Herz, geritzt in seine Haut,
wird mit ihm in die ferne Zukunft reisen.

Untragbar

Dein Blick war mir das hellste
Licht auf dieser Welt,
du nahmst es fort,
ich trieb allein im dunklen Raum,
und meine Liebe zu dir,
die mich unlösbar in Fessel stellte,
war stark, wollt‘ Früchte tragen
wie ein Baum.

Doch du beschneidest ihn,
lässt ihn nicht blühen.
Er fragt das Jahr: „Wann wird es Frühling sein?“
Die trüben Himmel sind stets über ihm,
es bleibt die Kälte, und er steht allein.

Auch, als ich meine Hände nach dir streckte,
so wie der Baum zum Himmel sein Geäst,
so bleibst du fern, bist unerreichbar fort,
bist wie ein Schatten, der kein Leuchten lässt.

Nicht lange hielt das Liebesband
uns sanft umschlungen,
unlösbar schien es – trennend war die Zeit.

Ich lebte zwischen Sehnsuchtsleid
im Taumel, hoffend, wartend,
und täglich sind es die Erinnerungen
an jene Stunden,
als wir weltvergessen, voller Liebe,
einander in die Herzen lauschten
und Liebe dort,
so wie ein sanftes, frisches Windesrauschen,
ein Frühlingsweben in die Seelen schrieb:
Ich hab dich lieb!