Der Frühling ging

John William Waterhouse (1849-1917)

Vergangen mit ihm ist das Neue,
das aus den alten Zweigen trieb.
Die Winde trugen in die Bläue,
den Hauch, der uns an Blumen lieb.

Noch sind die Rosen nicht verblüht;
uns streut die Blumenkönigin
ein schweres Duften ins Gemüt,
belebt, wie Balsam, Geist und Sinn.

Es flutet Mauern und Spaliere
der Hauch von Zartheit wie ein Beben,
Tristes wich einer Blütenzierde.
Im alten Rosenstock ist Leben!

Unter dem Blattwerk, klein und fest,
die neuen Knospen, wie ein Meer,
umstellt von stachligem Geäst
zum Schutze, wie ein Dornenheer.

Der Traum von Blüte geht dahin,
noch lockt ihr freundliches Gesicht.
Bald reift der Weizen – Herbstbeginn,
das Nahen des Winters ist in Sicht.

Altersschranken

Irdische und himmlische Liebe – FRANZ VON LENBACH (1836 ‐ 1904)

Vorbei die Zeit des Gegenüberstehens,
verborgene Blicke des Vorübergehens,
ein Ahnenlassen, wie das Herz empfindet,
voll Scham erröten, völlig unbegründet,
verlegen dann die Hand zum Gruße reichen,
ungern von der geliebten Seite weichen.

Die Jugend ist vorbei, ist abgehandelt,
kein Trieb, der meine Sinne wandelt.
Mit alter Seele frei von Leidenschaft,
aus tiefstem Herzen manches Mal gedacht:
Befreiung heißt Verzicht und nicht Verbot,
ist die Gewissheit vor dem Abendrot.

Liebt man nicht nur das Bild im Spiegel,
sein selbst kreiertes Gütesiegel?!
Kann Unbekanntes Seligkeiten bringen,
das nicht gestaltet ist nach eignen Dingen?
Die rosarote Blindheit der Gedanken
eröffnet die im Alter auferlegten Schranken.

Doch gab ich meinen Kräften neuen Sinn,
damit ich hier auf Erden nah dem Himmel bin.

Schattige Tage

Foto: Gisela Seidel – Motorradausflug in der Rhön

Schon lang ist’s her,
so viele Jahre,

im Leben kurz ein Mehr
der guten Tage.

Ein Abenteuer,
hoffnungsvoll,
wie Stroh entflammt,

ein schnell gelöschter
kurzer Brand,

ließ meine Tage wieder
schattig sein
und mich allein.

Hoffnungsvoll

Die Republik – Gerome Jean Leon (1824 – 1904)

Die Hoffnung setzt Vertrauen in das Leben.
Obwohl die Dunkelheit so manchen Tag verhüllt,
wird sie uns Lebensmut und Selbstvertrauen geben,
auch wenn oft langes Warten unsre Stunden füllt.

Und ist uns bang ums Herz und trüb die Sicht,
für Pläne, die wir tief im Herzen schmieden,
so sendet uns ein Leuchten neues Hoffnungslicht;
gelingt ein Plan, bringt es uns den erträumten Frieden.

Die Hoffnung ist die Flamme unsrer Lebenslichter,
ein Funke, der das Feuer in der Dunkelheit entfacht,
erfüllte Träume bringen strahlende Gesichter,
und es durchflutet heller Schein die finstre Nacht.

Oft will uns nicht gleich jeder Schritt gelingen,
dann straucheln wir und fallen hart zurück,
die ferne Zeit wird dann zum Guten bringen,
was einst zerstörte unser Missgeschick.

Wiedergeburt

Bild: Karin M.

Hin zu den klaren Quellen,
mit Weisheit gesegnet.

Alte Seelen,
nichts wissend,
nur ahnend,
unter tausend Schichten verborgen,

zur geistigen Erhöhung
dem Leben verpflichtet.

Gesichter der Erde im Spiegel,
Geist des Himmels im Herzen.

Voran, weiter, höher!
Es gibt kein Zurück.

Ein tiefer Brunnen

Siegfried August Gerasch (1822 – 1893)

Ein tiefer Brunnen sein,
in dem die klaren Wasser nie versiegen,
wo durstig man das Leben trinkt und lacht,

in Sand gebaut,
wo Füße vieler in den Spuren liegen,
wo feuchte Stirnen kühlten in der Nacht.

Nach allen Seiten offen…
Krüge füllen,
mit tiefem Wasser – Lebenselixier allein;
gar manchen Durst nach Klarheit stillen.

Wer wollte nicht wie dieser Brunnen sein!

Wandler der Stunden

Bild: Karin M.

Ich wollt‘ kein Jahr zurück,
nur eine einz‘ge Stunde,
in der ich alle Lieben wiederfinde,
und mich vor all der tot gemeinten Runde
verbeuge und in Demut mich verbinde,
gedankentief,
ob sie mir hold und weniger…
gleich gültig mild,
so streute ich das Maß der Dinge,
denn ohne all die vielen Wandler
meiner längst vergangenen Stunden,
ob leidvoll oder liebend und
in Harmonie verbunden,
wäre ich nicht der ICH BIN,
es ist doch alles Eins,
umschwebt von Gottes Sinn.

Schatten der Vergangenheit

Johann Heinrich Füssli (1741-1825)

Ich fühle, wie Gestalten
im Dämmerschatten stehen,
sind unsichtbar verknüpft
mit meinem Zeitgeschehen,
zeigen hilflose Momente,
warnend und wohlbekannt,
von denen ich mich trennte –
vernarbtes Lebensband.

Möcht’ ich mich auch entziehen,
in wilder, langer Flucht,
so kann ich nicht entfliehen,
aus dieser Lebensschlucht.
Schau mutig ich hinüber,
mit ungetrübtem Blick,
bringt dieses Schau’n doch wieder
Erinnerung zurück.

Sind’s dunkle Lebensflecken,
die dort im Nebel stehen,
die mir aus finster’n Ecken
tief ins Bewusstsein gehen.
Die vielen off’nen Wunden –
sie heilen wird die Zeit –
sind noch nicht überwunden,
obwohl Vergangenheit.

Gewitterahnung

Vor dem Gewitter – Ignaz Raffalt (1800–1857)

Alle Fenster weit geöffnet,
nur ein kleiner Luftzug strömt
in den schwefelgelben Morgen.
Horch nur, wie’s vom Kirchturm tönt!

Und die Vögel singen leise,
spüren, was da kommen mag,
drosseln ihre frühen Kreise;
Federn sind ihr Seismograf.

Dunkle Himmel, zugezogen,
ein Verbinden grauer Schwaden,
die auf blauen Sommerspuren
ihren Glanz verloren haben.

Alle Menschen atmen Schwüle,
jeder Schritt wird eine Last.
Glücklich schätzen wir die Kühle,
die im Winter uns verhasst.

Stimmungsvoll ist aufgeladen,
was die Stadt in Atem hält.
Zwielicht tilgt die frühen Farben,
grau und tot scheint unsre Welt.

Ahnung zerrt an Augenblicken,
es verstummt die Gegenwart.
Blitze gehn auf Himmelsbrücken,
fern noch klingt der Donnerschlag.

Ruhe vor dem Sturm! Beizeiten!
Wird die Welt nun untergehen?
In mir klingt’s wie Ewigkeiten:
Reingewaschen wird sie gehen.

Am Meer

William Adolphe Bouguereau (1825-1905)

Sonnendurchtränkter weißer Strand,
wie lieb ist mir deine Idylle.
Das Meer umspült den flüchtigen Sand,
die Wogen durchbrechen die Stille.

Endlose Wellen in glitzerndem Nass
schimmern wie funkelnde Sterne,
glänzen wie Seide und gläserner Strass,
brechen das Licht in der Ferne.

Muscheln verzieren die feuchte Natur,
Sonne verbrennt letzte Schatten;
Krebse wandern auf Poseidons Spur,
Salzluft liegt auf den Rabatten.

Strahlender Himmel in endlosem Blau,
spiegelt sich tief in den Fluten,
salziger Wind nimmt den Wolken das Grau,
Sonne kühlt ab ihre Gluten.